Israel ist das einzige freie Land im Nahen Osten. Dennoch vergleicht jeder Dritte die Politik der Netanjahu-Regierung mit der Adolf Hitlers.

Jerusalem, mon amour – das ist derzeit keine sehr populäre Redewendung. Die ohnehin nie übermäßig ausgeprägte Liebe der meisten Deutschen zu Israel scheint sich in erschreckendem Maße immer weiter abzukühlen. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass bereits 48 Prozent der Deutschen keine gute Meinung von Israel haben. Besonders beunruhigend ist dabei, dass es in der Gruppe der jüngeren Deutschen zwischen 18 und 29 Jahren sogar 54 Prozent sind. 35 Prozent der Bundesbürger vergleichen die Politik der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegenüber den Palästinensern gar mit dem Nationalsozialismus Adolf Hitlers. Es ist ein ungeheuerlicher, ignoranter Vergleich.

Das Problem ist unter anderem, dass sich in derartigen Umfragen berechtigte Kritik an der Regierung in Jerusalem mit tief verwurzeltem Antisemitismus vermengt. Dieser ist bei alten und neuen Rechtsradikalen ebenso ausgeprägt wie bei vielen Muslimen und traditionell auch bei den Linken. Israel hat gegen die wohlgeölt laufende Propagandamaschine der radikalislamischen Hamas und der arabischen Staaten wenig Chancen. Viele Deutsche engagieren sich mit ihrer Wut erst dann, wenn Israels Streitkräfte, wie im vergangenen Sommer, überhart zurückschlagen – nachdem die Hamas jahrelang Abertausende Raketen auf israelische Städte abgefeuert hat.

Die nationalreligiöse Regierung Netanjahu trägt allerdings ein gerüttelt Maß am schlechten Image des Landes. Sie hat fast ausschließlich die – in der Tat permanent bedrohte – Sicherheit des Staates und die Interessen der jüdischen Bevölkerungsmehrheit im Auge und hintertreibt mit ihrer aggressiven Siedlungspolitik alle internationalen Friedenspläne, die sich an einer Zwei-Staaten-Lösung orientieren. Doch diese auch im Westen wenig beliebte Regierung ist eben nicht deckungsgleich mit Israel. Es ist ein westlich geprägtes, weltoffenes Land mit einem demokratischen System; mit Hightech-Forschung und -Industrie. Von den 18.000 Studenten der renommierten Universität Haifa etwa sind rund 3500 Araber – ein Modellkosmos der friedlichen Koexistenz. Und eine so tolerante, lebensfrohe Stadt wie Tel Aviv findet man in der ganzen Region nicht und in der Welt nur wenige. Deutsche Politiker befinden sich in einem schwer lösbaren Dilemma: Kritisieren sie Israels Regierung – was in manchen Punkten nötig ist –, gilt dies Antisemiten als Ermutigung. Aber verteidigen sie deshalb, was die Regierung Netanjahu tut, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit und geben Verschwörungstheorien Auftrieb.

Betrachtet man das regionale Umfeld Israels – die bluttriefende syrische Despotie mit dem Bürgerkrieg, das ins Chaos gestürzte und teilweise von militanten Muslimen beherrschte Libyen, die folternde und hinrichtende Wahabiten-Tyrannei Saudi-Arabien, das von der Mubarak-Diktatur über eine Autokratie der Muslimbrüder zu einer brutalen Militärjunta getaumelte Ägypten, die intolerante Mullahkratie in Teheran und andere –, dann fragt man sich, wie jemand in Deutschland auf die Idee kommen kann, seinen Zorn ausgerechnet auf die einzige freie und demokratische Zivilgesellschaft in der Region zu richten. Hier spielen offenbar auch Vorurteile einer Rolle, die es in Europa bereits im Mittelalter gegeben hat.

Fast 70 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, wo mehr als eine Million Juden ermordet wurden, waren 2014 bei Israel-feindlichen Demonstrationen Parolen zu hören, wie es sie seit dem Ende des NS-Regimes in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr gegeben hat. Vor der israelischen Botschaft in Berlin skandierten im Sommer vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund: „Jude, Jude, feiges Schwein – komm heraus und kämpf allein.“ In Frankfurt war auf Plakaten zu lesen: „Juden sind Bestien.“ Kritik an Israels Regierung mag zutreffend sein. Aber Deutschland kann es sich nicht erlauben, derartige Manifestationen von Rassenhass hinzunehmen. Polizei und Justiz sind aufgefordert, kompromisslos zu reagieren.