Papst Franziskus hat bei seiner Rede im Europaparlament in Straßburg mehr Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik gefordert. Er traf auch eine alte Freundin, Frau Schmidt aus Boppard.

Straßburg. „Ach, ist das schön, Sie zu sehen“, ruft Helma Schmidt. So ganz fassen kann die 97-jährige Dame aus Boppard in Rheinland-Pfalz es noch nicht. Vor ihr steht ein Mann in einer weißen Soutane und hält ihre Hände. Es ist Papst Franziskus. Vor fast 30 Jahren hatte Helma Schmidt den freundlichen Herrn als Jorge Mario Bergoglio kennengelernt – in Boppard.

Im Jahr 1985 war das, Bergoglio machte damals einen zweimonatigen Deutschkurs am Goethe-Institut. Helma Schmidt und ihr Mann hatten ein Zimmer in ihrem Haus zu vermieten und paukten mit dem Gast Vokabeln. Daraus entwickelte sich eine enge Brieffreundschaft. Dann erfuhr das Europaparlament von der Geschichte und lud Helma Schmidt ein, am Dienstag als Ehrengast beim Papst-Besuch in Straßburg dabei zu sein.

Da stehen sie jetzt also, Frau Schmidt und Franziskus. Der Papst lächelt und verabschiedet sich vorerst von der Freundin, er muss noch mehr Hände schütteln, sein Besuch im Europaparlament und im Europarat ist kurz. Die Parlamentarier warten schon im brechend vollen Plenarsaal. Es ist die erste Reise von Papst Franziskus (77) in ein EU-Land außerhalb Italiens. Zum ersten Mal seit dem Besuch von Johannes Paul II. am 11. Oktober 1988 spricht ein Papst in der Volksvertretung der EU-Staaten.

„Nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu Friedhof wird“

Wie von Beobachtern schon erwartet, macht Franziskus die europäische Flüchtlingspolitik zu einem seiner wichtigen Themen. Er findet klare Worte: „Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird!“ Nötig sei eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Länder in Flüchtlingsfragen. Der Papst ist überzeugt, dass Europa seine Migrationsprobleme lösen kann – wenn es Gesetze erlässt, die die Europäer und ihre kulturelle Identität sowie die Migranten gleichermaßen schützen.

Scharf verurteilt Franziskus eine „Politik der Eigeninteressen“ Europas gegenüber den Herkunftsländern, die die Fluchtursachen nährten statt beseitigten. Die EU-Parlamentarier sind durchaus einverstanden mit den Papst-Worten, sie applaudieren. Die restriktive EU-Flüchtlingspolitik geht nicht in erster Linie auf das Parlament zurück, sondern auf die Regierungen einzelner europäischer Länder. Das Parlament fordert beispielsweise schon lange einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in Europa.

Generell ist die Menschenwürde ein wichtiges Motiv in der Rede des Papstes. Franziskus geißelt auch die „Wegwerf-Kultur“ und den „hemmungslosen Konsumismus“ der heutigen Zeit. Auch kritisiert er, dass Menschen „ohne viel Bedenken ausgesondert“ würden – etwa Kranke im Endstadium, pflegebedürftige alte Menschen oder ungeborene Kinder.

Grüne hatten Homsexuelle eingeladen

Zu einer Störung wie bei der Papst-Rede im Jahr 1988 kam es diesmal nicht: Damals hatte der Abgeordnete Ian Paisley aus Irland die Worte von Johannes Paul II. durch „Antichrist“-Rufe unterbrochen. In EU-Kreisen kursierte seither das Gerücht, dass auch deshalb so lange kein Papst mehr kommen wollte. Die Szene sei halb so wild gewesen, erinnert sich hingegen der CDU-Abgeordnete Elmar Brok: „Wir haben Ian Paisley mit ein paar Leuten vor die Tür gesetzt.“

Diesmal bleibt alles ruhig im Saal. In den Reihen der Linksfraktion sind ein paar Sitze leer geblieben. Einige Politiker tragen Girlanden in Regenbogenfarben um den Hals, um auf die Rechte von Schwulen und Lesben zu verweisen. Auf einem bunten Transparent steht das Wort „queer“. Die Grünen haben einen Brief an Franziskus aufgesetzt, in dem sie die katholische Haltung zur Homosexualität kritisieren. Sie haben auch Homosexuelle sowie Flüchtlinge in den Plenarsaal eingeladen.

Nach einer Stunde eilt Papst Franziskus weiter in den Europarat. In der Staaten-Organisation, die 47 Länder umfasst, thematisiert er vor allem das schwierige Streben nach Frieden. Zum Europarat gehören unter anderem sämtliche EU-Staaten sowie auch Russland und die Ukraine. Nach insgesamt vier Stunden besteigt Franziskus seinen Flieger zurück nach Rom. Im Gepäck hat er eine Flasche Wein und ein Buch – Geschenke seiner Brieffreundin Helma Schmidt aus Boppard.