Hamburgs Bürgermeister will den Steueraufschlag künftig für den Schuldenabbau nutzen. Das hilft vor allem den ärmeren Bundesländern.

Berlin. Die Streitsumme ist gewaltig: Es geht um 640 Milliarden Euro. Bund und Länder stehen vor der Herkules-Aufgabe, ihre Finanzbeziehungen neu zu ordnen. Dabei müssen sie die Frage klären, wie sie künftig die Steuereinnahmen zwischen sich und mit den Gemeinden verteilen wollen.

Im Mittelpunkt der Verhandlungen steht dabei der Solidaritätszuschlag. In der SPD zeichnet sich immer klarer ab, was aus Sicht der Sozialdemokraten mit dem Zuschlag auf die Einkommensteuer passieren soll: Die Einnahmen sollen für den Schuldenabbau der Bundesländer verwendet werden. „Eine der möglichen Varianten ist, die Mittel aus dem Soli für ein Altschuldenprogramm einzusetzen“, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). „Dieses Modell finde ich durchaus überzeugend.“

Unterstützung erhält Woidke von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: „Ich halte es nicht für realistisch, dass wir den Soli ohne Weiteres streichen. Wir haben immer noch eine riesige Schuldenlast in Deutschland“, sagte Oppermann. Es würden zwei Modelle diskutiert, nämlich die Einarbeitung des Soli in die Einkommensteuer und die Bildung eines Schuldentilgungsfonds. „Ziel muss es sein, dass Bund, Länder und Kommunen in Zukunft ihre Aufgaben ohne neue Schulden finanzieren können“, betonte der Fraktionsvorsitzende. Während der Vorschlag bei Landespolitikern der Union auf Ablehnung trifft, ist man auf der Führungsebene des Bundesfinanzministeriums nach Informationen dieser Zeitung nicht abgeneigt – aber nur, wenn die Länder ihre Haushalte künftig strenger vom Bund kontrollieren lassen.

Die Schuldenbremse wird von einigen Ländern kaum einzuhalten sein

Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ist notwendig geworden, weil 2019 der Solidarpakt II für den Aufbau Ost und der Länderfinanzausgleich auslaufen. Gleichzeitig müssen die Länder ab 2020 die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse einhalten, die ihnen die Aufnahme neuer Verbindlichkeiten verbietet. Für einige klamme Länder wird die Regel unter den jetzigen Bedingungen kaum zu schaffen sein. Deshalb haben sie es auf den Soli abgesehen. Dessen Einnahmen von derzeit rund 15 Milliarden Euro pro Jahr fallen allein dem Bund zu. Das wollen die Länder ändern. Die Finanzminister von Bund und Ländern sollen bis Oktober zwei Vorschläge prüfen, wie es mit dem Soli weitergehen könnte.

Option eins: Der Soli als gesonderte Abgabe fällt weg und wird in die Einkommensteuer integriert. Für den Bürger würde sich nicht viel ändern, für die Länder dagegen schon: Sie bekämen dann künftig über die höhere Einkommensteuer mehr vom Kuchen ab. Option zwei: Die Soli-Einnahmen werden für einen Altschuldenfonds genutzt.

Senatschef will den Steueraufschlag für Zinszahlungen verwenden

Dieser Vorschlag stammt von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und findet unter den rot-grün regierten Ländern großen Anklang. Dabei würden Altlasten aller Länder in einem Fonds gebündelt. Der Bund hätte die Zinsen zu tragen, die Länder blieben für ihre jeweiligen Schulden verantwortlich – und müssten diese über 50 Jahre tilgen. Von diesem Modell würden besonders hoch verschuldete Länder wie Bremen, Berlin oder das Saarland profitieren. Bremen gibt jeden dritten, das Saarland gut jeden vierten Euro für Zinsen aus. Allein Bremen würde bei dem Modell von Scholz je Bürger überschlägig rund 350 Euro weniger Zinsen ausgeben.

Von den Zahlen her ginge die Rechnung für alle Länder wunderbar auf: Die Einnahmen aus dem Soli werden laut Prognosen Ende des Jahrzehnts knapp 18 Milliarden Euro betragen – fast genauso hoch ist die aktuelle Zinslast der Länder. Begründbar wäre solch ein Fonds auch: Denn der Bund hat nach dem Grundgesetz die Aufgabe, für einen Ausgleich unter den Ländern zu sorgen – und könnte deshalb für ihre Zinsen durchaus aufkommen.

CSU-Finanzminister mahnt: „Der Soli ist kein Selbstbedienungsladen“

Allerdings trifft der Vorschlag bei den reichen Ländern, die wenig Zinszahlungen leisten müssen und deshalb am wenigsten von solch einer Reform profitieren würden, auf erbitterten Widerstand: „Ein Altschuldentilgungsfonds würde die begünstigen, die in der Vergangenheit überdurchschnittlich Schulden aufgetürmt haben“, sagt Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU). Noch deutlicher wird Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU): „Der Soli ist kein Selbstbedienungsladen für SPD-Länder. Der Soli sollte stattdessen zur Hälfte für Steuerentlastungen und zur anderen Hälfe für einen bundesweiten Infrastrukturfonds reserviert werden.“

Auch in der Unions-Bundestagsfraktion trifft der Vorschlag eines Schuldenfonds nicht gerade auf Begeisterung: „Für die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gilt eines: Vorschläge, die einseitig den Bund belasten, sehe ich sehr zurückhaltend“, sagt Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus.

Die Union fürchtet einen geringeren finanziellen Handlungsspielraum für den Bund. Dieser hat die Länder schon bei einer Reihe von Sozialausgaben wie der Eingliederungshilfe oder dem BAföG entlastet. Da will die Bundesregierung künftig nicht auch noch Einnahmeausfälle verkraften müssen.

Aber auch in der Union ist die Ablehnung nicht einhellig. Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte nach der Bundestagswahl: „Was Herr Scholz vorschlägt, sollten wir ernsthaft prüfen.“

Das Bundesfinanzministerium stellt sich auf einen Kompromiss ein

Im Haus von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurde in den vergangenen Wochen immer wieder darauf verwiesen, dass der Bund strukturell schlechter dastehe als die Länder. Ein Blick in die Vergangenheit bestätigt dies: Während der Bund 2012 und 2013 noch ein Finanzierungssaldo von jeweils rund 22 Milliarden Euro aufwies, lagen die Länder lediglich mit sechs und 0,6 Milliarden Euro im Minus. Außerdem trägt der Bund die Milliardenrisiken aus der Euro-Rettung.

Allerdings ist die Finanzlage der Länder sehr unterschiedlich. Während einige Staaten wie Bayern kaum wissen, wohin mit dem ganzen Geld, stehen andere wie das Saarland oder Bremen mit dem Rücken zur Wand. Und auch sonst passt die Aussage „armer Bund, reiche Länder“ nur bedingt: Zwar mag der Bundeshaushalt in Zukunft unter steigenden Sozialausgaben ächzen, aber dafür müssen die Länder steigende Pensionslasten schultern. „Die Haushaltsstruktur der Länder ist ungleich schwieriger, weil der Personalanteil hier ungleich höher ist als beim Bund“, sagt Hessens Finanzminister Schäfer.

Deshalb stellt man sich auch im Bundesfinanzministerium darauf ein, den Ländern entgegenkommen zu müssen. Schäubles Staatssekretär Werner Gatzer hat in vertraulichen Runden schon Bereitschaft zu einem Altschuldenfonds erkennen lassen – unter der Bedingung, dass der Bund die Länderhaushalte stärker kontrollieren darf.

Bislang kann der Stabilitätsrat, der die Haushalte von Bund und Ländern überwacht, praktisch keinerlei Sanktionen gegen ein Bundesland verhängen. Denkbar wäre in den anstehenden Verhandlungen folgender Deal: Der Bund richtet eine Art von Schuldenfonds ein, darf aber bei einem Verstoß gegen die Schuldenbremse Sanktionen gegen „Sünder-Länder“ verhängen.

„Eines kann jedenfalls nicht sein“, sagt auch ein SPD-Finanzpolitiker aus dem Bund, „dass der Bund immer mehr Aufgaben von den Ländern übernimmt, gleichzeitig Steuereinnahmen an sie abtritt und die Länder damit machen können, was sie wollen.“