Die Gewinnerbilder des World Press Photo Awards sind vier Wochen lang in einer täglich geöffneten Ausstellung am Hafenrand zu sehen.

Hamburg. Wer kein Blut sehen kann, auch nicht auf Fotos, dem wird hier vor mancher Bilderwand unter Garantie mulmig. Die Welt, wie Fotoreporter sie sehen, ist nun mal ein Ort voller Gewalt und Schrecken, voller Krieg und Katastrophen. Und Fotografen müssen nah rangehen mit der Kamera, wenn sie zeigen wollen, was sie sehen. Zum 20. Mal präsentiert Gruner+Jahr im Foyer seines Verlagshauses am Baumwall als erste Station in Deutschland jene Fotos, die den World Press Photo Award gewonnen haben, womöglich die prestigeträchtigste Auszeichnung für Pressefotografen überhaupt. Seit 1955 wird sie von der World Press Photo Foundation vergeben, die ihren Sitz in Amsterdam hat. Diesmal sichtete die international besetzte Jury 98.671 Einsendungen von 5754 Fotografen aus 132 Ländern.

Das World Press „Foto des Jahres“ 2013 allerdings zeigt auf den ersten Blick keine Gewalt. Die Aufnahme des Amerikaners John Stanmeyer, der heute nahezu ausschließlich für „National Geographic“ arbeitet, wirkt geradezu meditativ. Aus einer Gruppe von Menschen, die als Silhouetten vor dem bläulichen Abendhimmel unterm Vollmond am Meer stehen, recken vier ihre Handys in die Höhe. Die Displays leuchten hell, wie auf die Erde gefallene Sterne.

Die Geschichte hinter dem Bild aber ist dann doch eine von Gewalt, wenn auch von indirekter Gewalt. Die Männer und Frauen am Strand des Roten Meers in Dschibuti sind Flüchtlinge aus dem benachbarten Somalia, die hoffen, hier ein Signal aus ihrem Heimatland aufzufangen, wo sie ihre Simcard gekauft hatten, um preisgünstig mit den Lieben daheim telefonieren zu können, vor ihrer erhofften Abreise in ein besseres Leben als das am Horn von Afrika.

Stanmeyer, der erst zwei Tage zuvor im Zuge einer Reportage über die Migrationsgeschichte der Menschheit nach Dschibuti gekommen war, hatte sich als Freund der Fotografie bei Dunkelheit im Wesentlichen auf seinen Instinkt verlassen. Er wusste, dass Vollmond sein würde. Die Szene am Strand hatte er schon vorher erlebt, weil sie sich allabendlich wiederholte. Er hatte also das Bild grob im Kopf, ehe er es machte. Vergleichsweise komfortable Arbeitsumstände in einer Branche, deren Protagonisten in der Regel nicht wissen, was sie dort erwartet, wo sie mit ihrer Kamera hinreisen.

Fotoreporter müssen Zusammenhänge begreifen, beobachten, spüren, was sich daraus machen lässt, und wach sein für den richtigen Moment, vielleicht ein bisschen kaltblütig. Dann können sie im festgehaltenen Moment seine Bedeutung erfassen und ihr mithilfe ihres besonderen Blicks und ihres technischen Könnens Tiefe geben.

Die Ausstellung mit den in neun Kategorien ausgezeichneten Bildern wird in nahezu 100 Stationen auf der Welt gezeigt. Es ist eine schöne Vorstellung, dass diese Top-Auswahl lebensnaher Fotos aus einem Jahr Menschen in vielen Teilen der Erde miteinander in Beziehung bringt. Sie gibt allen eine nachhaltige Vorstellung davon, wie es anderswo auf der Welt aussieht, was Menschen bewegt, was sie erschüttert.

Besonders die Bilder aus den vier Kategorien Aktuelle Themen, Reportage, Harte Fakten und Menschen/Spontane Porträts lesen sich wie eine kurze (Schauer-) Geschichte des Jahres 2013. Der Krieg in Syrien, der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch, unter dessen Trümmern mehr als 1100 Arbeiter aus den fünf dort wirtschaftenden Textilfabriken begraben wurden, das Bombenattentat auf die Marathonläufer in Boston oder die Verwüstungen, die der Taifun Haiyan auf den Philippinen hinterließ: Hier rücken Leid und Leidensfähigkeit der Menschen in den Vordergrund. Und weil im Fotoreporter oft auch ein Künstler wohnt, evoziert etwa die ungemein detailreiche Sicht des Fotografen Chris McGrath auf die vom Taifun völlig zerstörte Stadt Tacloban zugleich auch die fotografische Ästhetik eines Andreas Gursky.

Auch drei deutsche Fotografen bekamen einen Preis. Markus Schreiber gelang das Porträt einer betrübten Frau, die nicht mehr zu Nelson Mandelas Sarg vorgelassen wurde, um Abschied von ihm zu nehmen (1. Preis Spontane Porträts). Der „Geo“-Fotograf Christian Ziegler bekam für seine Aufnahmen von Bonobos, der menschenähnlichsten Affenart, im Kongo in der Kategorie Natur/Fotoserien den dritten Preis.

Das Bild einer Trauerfeier im Kachin-Staat im für Ausländer schwer zugänglichen Norden von Myanmar, mit Karaoke nach reichlich Biergenuss, prämierten die Juroren mit dem 1. Preis in der Kategorie Alltagsleben/Einzelfotos. Es stammt von Julius Schrank, der in Hannover Fotografie studierte, in Amsterdam lebt und dort für die Tageszeitung „de Volkskrant“ arbeitet.

World Press Photo, Ausstellung, 7. Mai bis 9. Juni, Foyer des Gruner+Jahr Pressehauses (U Baumwall), Baumwall, geöffnet täglich 10.00 – 18.00, Mi 10.00 – 20.00, Eintritt frei, www.worldpressphoto.com