Seit einigen Wochen hat der koreanische Philosoph Byung Chul Han meine Aufmerksamkeit erregt, was vor allem damit zusammenhängt, dass er unsere heutige digitale Gesellschaften ziemlich exakt auf den Punkt bringt: „Im Schwarm“ heißt das kleine Büchlein, über das ich an dieser Stelle schon einmal schrieb, damals aber mit eher anklagendem Charakter. Heute soll es einfach nur um die Geißel meiner Generation gehen.

Die Lage meiner Generation ist zusammengefasst ungefähr diese: Wir sind im Frieden aufgewachsen, wir haben eine gute Kindheit gehabt, waren Teenager ohne Handyüberwachung; wir sind ohne Helm Fahrrad gefahren, haben unsere Lieblingslieder auf Kassette aus dem Radio aufgenommen und sind manchmal 13 Jahre zur Schule gegangen, manchmal auch ein bisschen länger. Und als die erste große Liebe beendet war, haben wir einfach den Hörer auf die Gabel geknallt. So einfach war das damals. Heute haben wir Smartphones.

„Der Mensch fingert, statt zu handeln“, beschreibt Byung Chul Han das Phänomen nun in seinem dünnen Bändchen, und er fährt fort: „Nicht Arbeit, sondern Muße wird sein Leben charakterisieren. Der Mensch der undinglichen Zukunft wird kein Arbeiter, kein Homo faber, sondern der Spieler, der Homo ludens, sein.“

Nun ist es in meinem Leben so, dass meine Wohnung an den Wochenenden meist voller Kinder ist, wobei sich die Aufteilung der Anwesenden in Homo faber und Homo ludens immer deutlicher vollzieht. Denn nach mehreren Piratenschiff-Schlachten, unzähligen Runden „Twister“, „Memory“ und „Das verrückte Labyrinth“ sind es natürlich nicht die Nachwuchs-Störtebeker dieser Stadt, die den ganzen Saustall aufräumen, sondern die Erziehungsberechtigten, die eine altersgemäße Sorge um die Vollzähligkeit der „Memory“-Kärtchen umtreibt – Kindern fehlt diese Eigenschaft erstaunlicherweise völlig. Und während man dann versucht, Schneisen in die Schlachtfelder aus Playmobil, bunten Spielkarten und Schlumpfarmeen zu schlagen, hat eines der Kinder einen richtig guten Vorschlag: Man könnte doch jetzt mal ein paar Runden auf dem Smartphone spielen. Eine wirklich glorreiche Idee. Wo man eh gerade mal raus in den Hamburger Regen wollte.

Kinder und Smartphones sind nach Kindern und Blockflöten die wahrscheinlich unheilvollste Allianz, die diese Welt jemals hervorgebracht hat. Aber so ist das mit unheilvollen Allianzen: Ihre Bestandteile ziehen sich magisch an. Kinder lieben leuchtende Displays mit Wischfunktion, und sie tun dies meiner Ansicht nach aus demselben Grund wie Erwachsene. Das macht es schwer, ihnen den Umgang damit zu verbieten. Und wenn man es tut, liegen wenig später überall in der Wohnung selbst gebastelte Prototypen herum, was mich zu der Annahme treibt: Man könnte Kindern neben dem Bedienen auch das Basteln von Smartphones verbieten – sie würden eine Brötchenhälfte dazu bekommen, wie eines auszusehen. Zugegeben: Nicht wenige dieser selbst gebastelten Handys sind auch irgendwie kleine Kunstwerke. Neulich hat sich eines der Kinder die Arbeit gemacht, aus Papierservietten kleine Motive auszuschneiden und sie als App-Symbole auf das Pappdisplay zu kleben. Und andere nutzten die vorgefalzte Kante einer Nudelpackung für ein schon etwas aus der Zeit gefallenes Klapptelefon. Die unendlichen Möglichkeiten der Papptelefonie taten sich allerdings trotzdem auf.

Ein Bekannter von mir hat seiner kleinen Tochter neulich ein Fisher-Price-Telefon gekauft, so eines hatte ich früher auch. Ein Telefon auf vier Rollen, mit einer bunten Wählscheibe, einem Hörer und einer Gabel. Man konnte dieses Telefon mit sich herumziehen. Seine Tochter, schrieb der Bekannte, spiele leider nicht mit dem Telefon. Vielleicht fehlten die Vorbilder, es gebe schließlich nicht einmal mehr einen Festnetzanschluss in seiner Wohnung.

Kauf deiner Tochter doch ein Spielzeughandy, schlug jemand anderes vor, und mein Bekannter antwortete, dass es das in der Tat schon gebe: Smartphones aus Holz für Kleinkinder. Mit einem Spiegel drauf, in dem man sich selbst betrachten kann. Seiner Ansicht nach beschreibt diese Eigenschaft das Wesen eines Smartphones ganz gut.