Im Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen muss sich Hamburg wieder auf seine weltoffene und humanistische Tradition besinnen

Die Geschichte der Lampedusa-Flüchtlinge ist in Hamburg von Anfang an falsch gelaufen. Seit Mai leben sie nun hier, 80 von ihnen in einem Provisorium rund um die St. Pauli Kirche: In einem großen Zelt essen sie, auf dem Kirchenboden schlafen sie in klammen Schlafsäcken, ihre Hosen und T-Shirts schaukeln auf Wäscheleinen im Kirchgarten und werden bei diesem Wetter nicht mehr trocken.

Der großen nachbarschaftlichen Unterstützung im Quartier stand ein großes Nichtstun seitens der Behörden gegenüber, man weiß nicht, ob aus Ratlosigkeit oder Bequemlichkeit. Jetzt besinnt sich die Innenbehörde auf Rechtsstaatlichkeit: Sie will die Identitäten der Flüchtlinge feststellen und in Einzelfallverfahren prüfen, wer hierbleiben kann und wer zurückmuss nach Italien.

Das ist rechtens. Aber Italien finanziert weder Sprachkurse noch Unterkünfte noch Arbeitsmöglichkeiten. Und die Situation ist inzwischen so verfahren, dass Recht und Gesetz allein nicht mehr reichen als Antwort auf diese Schicksale. Ihre Odyssee hat die Kriegsflüchtlinge aus Libyen fast zwangsläufig in die Illegalität transportiert. Sie sind in der St. Pauli Kirche gestrandet, nachdem ihr völlig überfülltes Flüchtlingslager in Italien wegen unmenschlicher Bedingungen von der EU geschlossen worden war. Der überlastete Frontstaat Italien schob sie mit Touristenvisa weg ins europäische Irgendwo, gab den Schwarzen Peter einfach an sie weiter. Jetzt sind ihre Touristenvisa abgelaufen. Den Status der Illegalität haben sie nicht angestrebt, der tritt nach Recht und Gesetz ein, wenn eine Frist beendet ist, die jemand in ein Formular gestempelt hat, als seien sie keine Menschen, sondern abzuholende Pakete.

Hamburgs Flüchtlingspastorin Fanny Dethloff hat es sehr deutlich auf den Punkt gebracht: Unsere Gesellschaft ist gespalten. Die einen sagen: Leute, wollen wir denn noch mehr Flüchtlinge anlocken, wenn wir jetzt nicht durchgreifen? Was können wir dafür, was draußen vor Lampedusa passiert? Und die anderen – „ein großes, bis in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft gehendes Bündnis“, wie Dethloff sagt – fühlen Scham. Sie wollen nicht, dass es so weitergeht, sondern dass sich Hamburg auf seine weltoffenen, humanistischen Traditionen besinnt und ein anderes Klima für Flüchtlinge schafft.

Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge nur da in Europa eine Chance haben, wo sie gerade anlanden, nämlich in Europas wirtschaftlich schwächsten Staaten im Süden. Man kann sich auch nicht scheinheilig über den „Arabischen Frühling“ in Ägypten und Tunesien, über Gaddafis Sturz in Libyen und die Opposition in Syrien freuen und dann sagen: Aber die Bürgerkriegsflüchtlinge sollen bitte selber sehen, wo sie bleiben.

In dieser Haltung spiegelt sich alles: die Hilflosigkeit gegenüber dem Umbruch in Nordafrika; die Angst vor einer Flüchtlingsschwemme und ihren möglichen sozialpolitischen Kosten; und der Rückzug auf das Legalitätsprinzip, wenn doch eigentlich Ideen und Kreativität gefragt wären. Es ist bequem, auf Einwanderungs- und Asylgesetze zu pochen, denn damit weist man der Polizei die Rolle des Ausputzers zu – die soll dann auf Hamburgs Straßen beliebige Afrikaner aufgreifen.

Viele Flüchtlinge irren in Europa als „irreguläre“ Migranten herum, weil sie immer wieder zurückgeschickt werden, wiederkehren, abtauchen und es allein versuchen. In Hamburg wurde ein Somalier fünfmal nach Ungarn abgewiesen. Ähnliche Schicksale gibt es in Frankreich, dessen sozialistische Regierung in der Flüchtlingsfrage ähnlich hilflos und rechtsversessen agiert wie der Hamburger SPD-Senat. War nicht die SPD in ihrer Oppositionszeit noch lautstark gegen Abschiebungen aufgetreten? Die St.-Pauli-Gemeinde hat sich als humaner und couragierter erwiesen.

Nein, es geht nicht darum, bestehende Gesetze zu beugen und zu brechen. Es geht darum, Menschen mit Namen und Gesichtern aus einer Situation zu helfen, die sie nicht selbst verschuldet haben. Dazu muss man hingehen, mit ihnen sprechen und sich ihre Geschichte einfach mal anhören. Der Bürgermeister sollte damit nicht länger warten, sondern die Initiative ergreifen.