Der SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück zieht sich aus der Politik zurück: Er strebe weder in der Partei noch in der Fraktion ein Amt an, sagte er auf dem kleinen Parteitag.

Der erfolglose SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will sich aus der ersten Reihe seiner Partei zurückziehen und auch in der Bundestagfraktion kein Amt anstreben. „Meine Karriere wird ein geordnetes Ende finden“, sagte der 66-Jährige nach Angaben von Teilnehmern am Freitagabend auf einem kleinen Parteitag in Berlin. Steinbrück habe die Verantwortung für das Wahlergebnis übernommen und gesagt, dass er kein Amt in Partei oder Fraktion anstrebe. An möglichen Koalitionsverhandlungen mit der Union wird er aller Voraussicht nach aber noch teilnehmen. Es hatte Spekulationen gegeben, Steinbrück könnte den Vorsitz der Fraktion übernehmen, wenn ihr bisheriger Chef Frank-Walter Steinmeier im Fall einer großen Koalition Minister würde.

Sollte es zu Koalitionsverhandlungen mit der Union kommen, wird Steinbrück nach Einschätzung aus der Partei daran noch beteiligt sein, ebenso wie an einem ersten Sondierungsgespräch, für das sich die Parteiführung am Abend grünes Licht vom kleinen Parteitag erhoffte. Sein Rückzug werde wohl erst auf dem Bundesparteitag Mitte November vollzogen. Dazu habe sich Steinbrück nicht ausdrücklich geäußert, hieß es. Bereits am Montag hatte Steinbrück erklärt, sein Bundestagsmandat annehmen zu wollen.

Auf dem kleinen Parteitag in der SPD-Zentrale berieten am Freitagabend unter Ausschluss der Öffentlichkeit 200 Delegierte der SPD-Landesbezirke über die Möglichkeit einer großen Koalition mit der Union. Ein erstes Gespräch mit CDU und CSU könnte kommende Woche stattfinden. Ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden, soll nach dem Sondierungsgespräch entschieden werden.

Das letzte Wort über einen Koalitionsvertrag mit der Union sollen die Mitglieder haben. Der Parteivorstand empfahl in einer Sitzung vor dem kleinen Parteitag einmütig bei drei Enthaltungen, dass über die Ergebnisse möglicher Koalitionsverhandlungen ein Mitgliedervotum eingeholt werden soll, wie Reuters aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Dies sollte am Abend von den Delegierten beschlossen werden. Die Parteispitze ist zudem für eine erste Gesprächsrunde mit der Union. „Wir verweigern uns keinen Gesprächen“, heißt es laut SPD-Kreisen in einem Vorstandspapier. Als Termin für ein Mitgliedervotum war der Sonntag vor dem SPD-Bundesparteitag vom 14. bis 16. November in Leipzig im Gespräch.

Über die Form der Mitgliederbefragung sei noch nicht entschieden, verlautete aus den Kreisen. Mit dem Mitgliedervotum über das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen kommt die Parteiführung den Vorbehalten an der Basis gegenüber einem neuen Bündnis mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entgegen. Nach der großen Koalition von 2005 bis 2009 hatte die SPD bei der Bundestagswahl mit 23 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegzeit eingefahren. Unter Sozialdemokraten herrscht nun die Sorge, dass eine Neuauflage die Partei weiter schwächen könnte.

Parteichef Sigmar Gabriel und die anderen Unterhändler, zu denen nach Einschätzung aus der Partei auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gehören dürfte, gehen mit der Mitgliederbefragung ein großes Risiko ein. „Wenn er das am Ende nicht durchbekommt, ist Gabriel erheblich beschädigt“, sagte ein Parteivorstandsmitglied zu Reuters. Ein Nein zu einem aushandelten Koalitionsvertrag käme einem Misstrauensvotum für die gesamte Führungsriege gleich.

In der Empfehlung sagt der Parteivorstand nach Angaben aus der SPD zu, die Gremien und Landesverbände umfassend über mögliche Gespräche mit der Union zu informieren und an möglichen Entscheidungsprozessen fortlaufend zu beteiligen. Grundlage für Gespräche mit der Union sei das SPD-Wahlprogramm. In der Parteisatzung ist nur ein Mitgliederentscheid vorgesehen, an dem mindestens ein Fünftel der knapp 500.000 SPD-Mitglieder teilnehmen muss.

In der Partei wurde erwartet, dass der Parteikonvent am Abend trotz aller Vorbehalte die Aufnahme von Gesprächen mit der Union beschließen wird. Auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), warb im „Handelsblatt“ dafür. Ob es dann zu einem solchen Bündnis komme, werde davon abhängen, wie viel sozialdemokratische Inhalte durchgesetzt werden könnten.

Dem ZDF-Politbarometer zufolge würden 58 Prozent der Bürger eine Regierung aus Union und Sozialdemokraten befürworten. In der SPD selbst sieht die Stimmung dagegen anders aus: 65 Prozent der Mitglieder wollen nicht, dass ihre Partei ein Bündnis mit der Union eingeht, wie eine Forsa-Erhebung für den „stern“ ergab. Bei den Funktionären ist die Ablehnung mit 70 Prozent sogar noch größer.