Die USA verlegen ein mobiles Raketen-Abwehrsystem in den Pazifik, um gegen mögliche Angriffe gerüstet zu sein. Im Video-Kommentar schätzt Abendblatt-Politikchef Egbert Nießler die Lage in Nordkorea ein.

Die amerikanische Raketenabwehr gegen Nordkorea – ein mobiles ballistisches Abwehrsystem, das teilweise auf Lastwagen montiert sei – soll dem Pentagon zufolge in den nächsten Wochen auf der Pazifikinsel Guam eintreffen. Kurz zuvor gaben die USA bereits offiziell die Entsendung zweier Kriegsschiffe in den Westpazifik bekannt, um die bestehende Raketenabwehr in der Region zu stärken. Es handele sich um die beiden Schiffe „Decatur“ und „McCain“, sagte Pentagonsprecher George Little.

Die beiden jeweils 154 Meter langen Zerstörer gehören zur Gruppe der sogenannten Guided Missile Destroyer und sind unter anderem für die Abwehr von Raketen ausgerüstet. Sie verfügen neben diversen anderen Waffensystemen über Tomahawk-Raketen und die entsprechenden Abschussvorrichtungen.

Diktator Kim Jong-uns Regime in Pjöngjang hatte den USA am Mittwoch wegen der Entsendung der beiden Schiffe offiziell mit einem möglichen Atomschlag gedroht: Militärische „Operationen ohne jede Rücksicht“ seien nun bewilligt, gab die oberste Militärführung in einer an das Weiße Haus und das Pentagon gerichteten Mitteilung bekannt, wie die südkoreanische Agentur Yonhap berichtete. Das schließe auch Atomwaffen neuester Bauart ein.

„Operationen ohne jede Rücksicht“

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hält die jüngsten Drohungen des nordkoreanischen Regimes gegen sein Land sowie Südkorea für gefährlich: „Wir nehmen diese Bedrohung ernst“, betonte Hagel in einer Rede an der National Defense University in Washington am Mittwoch (Ortszeit). Sein Land werde alles tun, um die Gefahr zu entschärfen.

Das Raketenabwehrsystem, das die USA auf den Weg nach Guam gebracht haben, trägt offiziell den Namen „Terminal High-Altitude Area Defense program“, abgekürzt „Thaad“. Wie aus den Budgetunterlagen des US-Verteidigungsministeriums hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr 42 Einzelsysteme und entsprechende Komponenten für 999 Millionen Dollar angeschafft.

Ursprünglich waren sie als Herzstück für das regionale Raketenabwehrsystem gedacht, das die Obama-Administration im Nahen Osten aufbauen möchte, um gegen mögliche Raketenangriffe aus dem Iran geschützt zu sein.

Regime verlegt Rakete an die Ostküste

Nordkorea verfügt nach Ansicht von Experten zwar nicht über die technischen Mittel, das US-Festland tatsächlich mit Langstreckenraketen anzugreifen. Ein nordkoreanischer Angriff mit Mittelstreckenraketen, etwa auf die US-Truppen in Südkorea oder Militärstützpunkte in Japan, liege aber im Bereich des Möglichen. Außerdem kann das Land mit seinen Raketen Ziele in ganz Südkorea erreichen.

Wie am Donnerstag bekannt wurde, hat Nordkorea eine Rakete mit einer „erheblichen Reichweite“ an seine Ostküste verlegt. Südkoreas Verteidigungsminister Kim Kwan-jin sagte vor Abgeordneten, auch diese Rakete könne jedoch nicht das amerikanische Festland erreichen.

Offenbar handle es sich ergo – entgegen japanischen Medienberichten – nicht um eine Langstreckenrakete vom Typ KN 08, mit der die USA direkt angegriffen werden könnten. Verteidigungsminister Kim sagte, er kenne Nordkoreas Gründe für die Aktion nicht; möglicherweise sei die Verlegung für einen Test oder eine Übung vorgenommen worden.

USA fürchten Neustart von Kernreaktor

Die US-Regierung hielte auch einen von Diktator Kim Jong-un bereits angekündigten Neustart des abgeschalteten Kernreaktors im umstrittenen nordkoreanischen Atomzentrum Yongbyon für „extrem alarmierend“. Bislang gebe es aber keine Anzeichen, dass das Regime die Anlage tatsächlich bald wieder in Betrieb nehmen könne, sagte US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland.

Washington forderte Pjöngjang nach seiner Atomkriegsdrohung auf, seine Kriegsrhetorik einzustellen. Die jüngsten Aussagen „in einer langen Reihe von provokativen Erklärungen dient nur dazu, Nordkorea weiter vom Rest der internationalen Gemeinschaft zu isolieren und sein Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung zu unterminieren“, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Caitlin Hayden, am Mittwoch.

Hayden weiter: „Nordkorea sollte seine provokativen Drohungen einstellen und sich stattdessen auf die Einhaltung seiner internationalen Verpflichtungen konzentrieren.“

Südkoreaner können nicht nach Kaesong

Das Regime in Pjöngjang hatte bereits vor einem Monat mit einem Präventivschlag gegen die USA gedroht. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel haben sich nach einem nordkoreanischen Raketentest im Dezember und einem späteren Atomwaffentest massiv verschärft.

Die Lage auf der koreanischen Halbinsel gilt seit dem dritten Atomtest in Nordkorea im Februar als äußerst gespannt. Pjöngjang hatte als Reaktion auf die Ausweitung von UN-Sanktionen und südkoreanisch-amerikanische Militärmanöver den Waffenstillstandsvertrag von 1953 gekündigt. Am Samstag rief Pjöngjang den „Kriegszustand“ im Verhältnis zu Südkorea aus.

Nordkorea verweigerte am Donnerstag zudem erneut die Einreise südkoreanischer Pendler in den gemeinsamen Industriekomplex Kaesong an der Grenze. Nordkorea habe nur den Südkoreanern die Ausreise erlaubt, die sich im Komplex aufhielten, berichtete die Agentur Yonhap am Donnerstag unter Berufung auf die Behörden. Am Mittwoch hatte Nordkorea die Maßnahme verhängt.

Seoul hatte das kommunistische Nachbarland aufgerufen, das Verbot unverzüglich aufzuheben. Damit ist aber derzeit kaum zu rechnen, im Gegenteil. Am Donnerstagmorgen drohte Nordkorea damit, seine Arbeiter aus dem Komplex abzuziehen, falls sich das „konservative Marionettenregime“ im Süden weiter negativ über den Norden äußere.

Der weitgehend von südkoreanischer Seite finanzierte Komplex Kaesong ist das einzige noch verbliebene Kooperationsprojekt zwischen den beiden verfeindeten Ländern. Der nur einige Kilometer von der schwer bewachten Grenze entfernte Industriepark gilt als wichtiger Devisenbringer für den verarmten, aber hochgerüsteten Norden.