100 Tage vor der Eröffnung der Sommerspiele in Rio de Janeiro läuft vieles nicht rund. Beunruhigen muss das aber niemanden.

    100 Tage vor großen Ereignissen, und Olympische Sommerspiele sind das größte Sportevent der Welt, ist es für Medien Usus, den Status quo der Vorbereitungen zu analysieren. Meist werden dann Schreckensszenarien gemalt. Wir kennen das von Fußballturnieren, wo regelmäßig vor marodierenden Hooliganhorden gewarnt wird, die dann doch nicht einfallen. Vor der WM 2010 in Südafrika wurde den Fans wegen der ausufernden Kriminalität die Reise ebenso madig gemacht wie vier Jahre später der Trip nach Brasilien, wo die Bevölkerung nur aus Superreichen, Schwerkriminellen oder Hobbydemonstranten zu bestehen schien.

    Überhaupt Brasilien! Das größte und mit mehr als 200 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Südamerikas steht zwei Jahre nach der 1:7-Halbfinalschmach seiner Kicker gegen Deutschland nun wieder im Fokus. Am 5. August sollen in Rio de Janeiro die Spiele eröffnet werden.

    Wer in diesen Tagen die Analysen der Korrespondenten liest, muss allerdings befürchten, dass Olympia dieses Mal aber nun ganz sicher ausfällt. Nach dem eingeleiteten Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsidentin Dilma Rousseff hätten die Brasilianer ja wahrscheinlich nicht einmal mehr ein Staatsoberhaupt, das die Jugend der Welt und vor allem die vielen VIP-Gäste begrüßen könne. Außerdem, so wird gewarnt, kriegen sie ihre Sportstätten und ihre U-Bahn nicht rechtzeitig gebaut, die Stromversorgung bricht regelmäßig zusammen, das Meer ist so schmutzig, dass die Wassersportler krank werden – und dann raffen Zika-Virus und Schweinegrippe auch noch weite Teile der Bevölkerung hin. Klar, dass sich das Leben an der Copacabana, diesem Sündenpfuhl, bei so vielen Sorgen nur mit ganz viel Zuckerrohrschnaps ertragen lässt, ohne den diese Samba genannten Ganzkörperverrenkungen gar nicht möglich wären. Ach, und außerdem ...

    Man kann es nicht mehr hören! Es steht doch außer Frage, dass die Menschen in einem Land mit großer sozialer Spannungsbreite andere Sorgen haben, als sich monatelang auf ein Sportereignis zu freuen, das nur in Einzelfällen Leben verändern wird. Die Ende November 2015 in das ablehnende Referendum gemündeten Diskussionen um Hamburgs Bewerbung haben uns vor Augen geführt, dass selbst in einer reichen, stabilen Demokratie selbstverständlich niemals alle von Olympischen Spielen profitieren können. Und dass es Gründe geben kann, deren Austragung auch abzulehnen.

    Aber ist das eine Rechtfertigung dafür, immer nur das Haar in der Suppe zu suchen? Es ist fraglos eine wichtige Errungenschaft, dass heute soziale und politische Probleme eines Ausrichterlandes diskutiert werden, manchmal schon, bevor die Auswahl erfolgt. Das hat beispielsweise dazu geführt, dass 2008 bei den Sommerspielen in Peking Chinas Umgang mit Meinungsfreiheit in den Fokus rückte und 2014 bei den Winterspielen in Sotschi Russlands Ächtung mancher Menschenrechte. Dennoch sollten wir dem Sport nicht eine gesellschaftliche Verantwortung aufbürden, der er nicht gerecht werden kann – und auch nicht gerecht werden muss. Niemand leugnet heute noch, dass Olympische Spiele eine gigantische Geschäftemacherei sind, und wir wissen auch, dass es eine Reihe von Athleten gibt, die den Fair-Play-Gedanken mit Spritzen und Tabletten missbrauchen. Aber die Mehrheit der Sportler und der Fans wird Olympia als fairen Wettstreit erleben, der Emotionen weckt und Völker verbindet.

    Deshalb gilt es, in den verbleibenden 99 Tagen bis zur Eröffnungsfeier, den Organisatoren in Rio bei ihrem Wettkampf gegen die Zeit alles Gute zu wünschen. Sie werden Lösungen finden für die meisten Probleme – und bestimmt auch jemanden, der die Begrüßungsworte spricht. Manches wird misslingen, doch daraus entstehen vielleicht gerade die Momente, die man sein Leben lang nicht vergisst. Klar ist, dass es viele Tausend Menschen gibt, die hart dafür arbeiten, dass IOC-Präsident Thomas Bach auch am 21. August auf der Schlussfeier wieder von großartigen Spielen schwärmen kann. Ihnen zu vertrauen und sich auf 16 Tage in einem sportverrückten Land zu freuen – das ist der Geist Olympias.