Die Wirtschaft fremdelt mit einem rot-grünen Senat. Dabei zeigt die Geschichte: Sie hat am wenigsten Grund zur Sorge

Wer zweifelt eigentlich noch an Rot-Grün? Abgesehen von ein paar Hauptstadt-Publizisten und wenigen versprengten Liberalen, die nicht von ihren sozialliberalen Träumen lassen möchten, marschieren SPD und Grüne zielsicher und frohgemut auf eine gemeinsame Koalition zu.

Wer fürchtet eigentlich noch Rot-Grün? Zumindest die Hamburger Wirtschaft mag sich mit der neuen Farbgebung nicht recht anfreunden. Im Wahlkampf liefen viele Verbandsvertreter zur SPD über und warben um eine absolute Mehrheit – gereicht hat es nicht. Woher rührt diese Ablehnung?

Immerhin wäre es der dritte Senat, der grün angehaucht ist – da darf man einige große Linien der Vergangenheit aufgreifen und fortschreiben. Die Öko-Paxe im Hamburger Senatsgehege – das war zunächst eine schwere Geburt. Schon 1982 unter Bürgermeister Klaus von Dohnanyi verhandelten Sozialdemokraten und GALier erstmals miteinander, allerdings kaum mit dem Ziel, sich einig zu werden. Die Gräben zwischen den Parteien waren tiefer, als man die Elbe jemals ausbaggern kann. Bausenator Eugen Wagner etwa soll bei den Gesprächen demonstrativ mit dem Kofferradio Fußball gehört haben. 1993 zog Bürgermeister Voscherau die Statt-Partei den Grünen vor.

Erst 1997 war es soweit – mit der Zweiten Bürgermeisterin Krista Sager, Umweltsenator Alexander Porschke und Stadtentwicklungssenator Willfried Maier zogen drei Grüne in den Senat von Ortwin Runde ein. Die Sozialdemokraten zeigten schon in den Verhandlungen auf, wer Koch und Kellner ist – und die Wirtschaft fand in den Folgejahren wenig Grund zu mosern. Ganz im Gegenteil: Aus Angst, in den Ruch der Wirtschaftsfeindlichkeit zu geraten, wurde die Politik demonstrativ wirtschaftsfreundlich. Dem über Parteigrenzen geschätzten Senator Thomas Mirow (SPD) gelang die Airbus-Erweiterung auf Finkenwerder und die Elbvertiefung. An den Wirtschaftsdaten – die Zahl der Arbeitslosen etwa fiel in dieser Zeit um 30.000 – lag es nicht, dass Rot-Grün 2001 abgewählt wurde.

Die nächste Elbvertiefung winkte das schwarz-grüne Bündnis durch, das 2008 unter Ole von Beust mit drei grünen Senatoren an den Start ging. Sie retteten die HSH Nordbank; die grüne Senatorin Anja Hajduk musste das Kohlekraftwerk Moorburg genehmigen, das die GAL im Wahlkampf noch erbittert bekämpft hatte. Allerdings war es ihre Behörde, die dem Betreiber Vattenfall dann kräftig Knüppel zwischen die Beine warf. Trotz der Kritik an der Hafenfinanzierung scheiterte das erste schwarz-grüne Bündnis am Ende nicht an Wirtschaftsfragen, sondern an der Schulpolitik und der wachsenden Entfremdung zwischen den Partnern.

Wer zudem eine Bilanz der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 zieht, wird endgültig wissen: Die Grünen sind keine wüsten Wirtschaftsgegner oder Kapitalistenfresser, sondern durchaus pragmatisch. Die mutigen Sozialreformen der Agenda 2010 hätte es mit einer Kanzlerin Angela Merkel vielleicht nie gegeben.

Wie aber erklärt sich dann, dass die Grünen bislang nach jeder Regierungsbeteiligung in Hamburg schwache Ergebnisse einfuhren? 2001 verloren sie 5,3 Punkte, kamen auf 8,6 Prozent, 2011 blieben sie mit 11,2 Prozent meilenweit hinter den Erwartungen. Vielleicht liegt es an einer Arroganz der Macht, die in beiden grüngefärbten Senaten augenfällig war und eine Wechselstimmung beförderte. Die Sorgen der Menschen waren nicht Sorge des Senats.

Der rot-grüne Senat etwa tolerierte am Hauptbahnhof eine offene Drogenszene, die vielen Hamburgern die Schamesröte ins Gesicht trieb und bis in die eigene Klientel Wähler vergrätzte. Der schwarz-grünen Regierung lasteten die Bürger das Versagen im Eiswinter 2010 an: Über Wochen waren die Behörden nicht gewillt oder im Stande, die Straßen von Eis und Schnee zu befreien. Ausgerechnet eine Partei, die Veggie-Days zur Rettung des Weltklimas erfindet oder gleich das komplette Schulsystem umkrempeln möchte, scheiterte an minimalsten Anforderungen im Alltag. Olaf Scholz versprach im Wahlkampf 2011 eine Selbstverständlichkeit, nämlich „ordentliches Regieren“ – sein Kantersieg zeigte, wie unordentlich es vorher zugegangen sein muss.

Man darf gespannt sein, ob sich Rot-Grün erneut in großen Themen verliert oder im Kleinen punkten wird.