Die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA lösen bei vielen Menschen große Sorgen aus. Die Politik nimmt sie nicht ernst genug

„Wie konnte das passieren?“, fragt die „Frankfurter Allgemeine“ entgeistert. Wie konnte es so weit kommen, dass die geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen – TTIP mit den USA, CETA mit Kanada – dermaßen in Misskredit geraten sind, dass sie schon zum Stammtischthema geworden sind? Obwohl der genaue Text gar nicht bekannt ist und überdies „so kompliziert sein wird, dass kaum einer es versteht“?

Ja nun, möchte man antworten, vielleicht gerade deshalb. Ein Abkommen, das in so gut wie jeden Lebens- und Wirtschaftsbereich hineinwirken wird, sollte öffentlich gut erklärt und begründet werden.

Wenn man die Kanzlerin hört, wird das Abkommen bedeutende Vorteile mit sich bringen, indem es Hemmnisse abbaut, die dem Handel mit dem Wirtschaftsraum USA im Weg stehen oder ihn zumindest erschweren. Das ist schön. Aber was die Gegner von TTIP umtreibt, ist die Frage: Was handeln wir uns sonst noch dabei ein?

Und mittlerweile ist das Lager dieser Gegner sehr breit geworden. So gut wie jede Nichtregierungsorganisation ist den Bündnissen gegen TTIP und CETA beigetreten. Die Europäische Bürgerinitiative EBI hat bisher mehr als 1,5 Millionen Unterschriften gegen die Abkommen gesammelt. Unter den Unterzeichnern sind keineswegs nur die üblichen Verdächtigen wie Attac. In Deutschland gehören dazu etwa auch „Ärztinnen für eine gesunde Umwelt“, der „Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft“, Brot für die Welt, der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, die IG Übersetzerinnen und Übersetzer, Foodwatch und Slow Food, die Neue Richtervereinigung, der Verband Deutscher Grundstücksnutzer, der europäische Berufsimkerverband, der Deutsche Kulturrat und das Clubkombinat, der Zusammenschluss der Hamburger Musikclubs.

Sind die nun alle zu dämlich zu erkennen, dass ja nicht nur große deutsche Konzerne ein Interesse am Abbau von Handelshemmnissen haben, sondern auch der Mittelstand? So in etwa lautet der Vorwurf der TTIP-Befürworter. Aber man sollte sich die Argumente der Gegner mal genauer anschauen. „Nicht nur für die Buchbranche, sondern für den gesamten Kultur- und Medienbereich ist das Freihandelsabkommen ein Risiko“, schreibt beispielsweise der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der vor allem die deutsche Buchpreisbindung in Gefahr sieht, weil sie den Interessen der weltgrößten Internetkonzerne auf dem europäischen Markt im Wege sein könne. Die Buchpreisbindung garantiert, dass ein Buch überall dasselbe kostet, egal ob es im Internet, im Kaufhaus oder beim Buchhändler um die Ecke gekauft wird. Oder Theater und Musikbranche: Sie befürchten, dass die Subventionen, die in Deutschland eine besondere kulturelle Vielfalt ermöglichen, künftig den Interessen globaler Unterhaltungskonzerne zum Opfer fallen könnten.

Besonderes Misstrauen schlägt den nichtstaatlichen Schiedsgerichten entgegen, die von ausländischen Investoren angerufen werden können, wenn sie hierzulande an strenge Auflagen gebunden werden sollen. Die USA drängen bei TTIP auf diesen Investorenschutz. Unterm Strich befürchten die Gegner, dass TTIP eine Entwicklung in Gang setzt, „die den ,Wert‘ des Freihandels über die Werte einer aus europäischer Sicht erstrebenswerten ökologisch-sozialen Marktwirtschaft setzt“. So bringt es eine Erklärung auf den Punkt, die unter anderem der Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, BUND, DGB, Naturschutzring, der Deutsche Städtetag, Transparency International und die Verbraucherzentralen unterzeichnet haben.

Ist das nur „diffuse Angst vor dem bösen Amerika“? Nein, auch in den USA und Kanada gibt es Gegner der Abkommen. Aber durch die Spähangriffe auf europäische Bürger und Institutionen ist das Vertrauen in die USA sicher nicht gewachsen. Es sieht so aus, als hätte man sich in Berlin und Brüssel einen Freifahrtschein für die Verhandlungen vorgestellt, ohne noch mal gründlich ins Land hineinzuhören.

Das kann nicht gut gehen.