Eine Studie des Uniklinikums Eppendorf belegt: Mehr Wissen über Religionen beugt Vorurteilen und gefährlicher Intoleranz vor

Die Terrorakte von Paris und das Anschwellen der islamkritischen Pegida-Bewegung rücken die Weltreligion Islam wieder in den Fokus der öffentlichen Debatte. Über das Verhältnis des Islam zur Gewalt und seine Vereinbarkeit mit westlichen kulturellen Normen wird teilweise erbittert gestritten. Gut vier Millionen Muslime leben in Deutschland; und auch wenn der Islam hier keine historischen oder kulturellen Wurzeln hat, so gehört er doch zu unserer Lebenswirklichkeit. Viele Bundesbürger fällen ihr Urteil über den muslimischen Glauben jedoch aufgrund von Vorurteilen oder Fehlinformationen.

Eine nun abgeschlossene repräsentative Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf unter der Leitung von Professor Dr. Steffen Moritz in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg und dem Berliner Max-Planck-Institut unter dem Titel „Auch Muslime lieben Jesus?“ ging der Frage nach, wieweit Vorbehalte durch korrigierende Informationen abgebaut werden können. Dazu wurden 1715 Bundesbürgern zunächst allgemeine Fragen zu ihrer Einstellung bezüglich des Judentums, des Christentums und des Islam vorgelegt, dann elf konkrete Wissensfragen gestellt, die im Multiple-Choice-Verfahren beantwortet werden konnten. Anschließend wurden noch einmal die Meinungen zu den drei monotheistischen Religionen abgefragt. Der Aufbau der Studie entspricht dem Metakognitiven Training, das in der klinischen Psychologie unter anderem bei Schizophrenie-Patienten angewandt wird und dazu dient, starre Überzeugungen zu hinterfragen.

„Das gebetsmühlenartig geäußerte ‚die meisten Muslime sind friedlich‘ überzeugt viele Bürger nicht“, sagt Steffen Moritz, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie am UKE. „Vielmehr scheint es wichtig, sich stärker mit den religiösen Schriften selber auseinanderzusetzen.“ Die Frage etwa, ob Gott, Jehova und Allah verschiedene Götter seien, beantworteten immerhin noch 69,8 Prozent richtig: Es handelt sich um denselben Gott. Doch schon die zweite Frage „Welches heilige Buch benennt ein ganzes Kapitel nach Jesu Mutter Maria?“ konnten nur 11,4 Prozent richtig beantworten: Es ist der Koran. Und nur sieben Prozent der Befragten wussten, dass die Zeit unter islamischer Herrschaft im maurischen Spanien ab etwa 711 n. Chr. als das „Goldene Zeitalter der jüdischen Kultur“ bezeichnet wird. „Aufgrund der letzten Jahrzehnte wird vorschnell davon ausgegangen, dass Juden und Muslime seit Jahrhunderten Todfeinde sind“, sagt Moritz. „Dabei hat es Pogrome gegen Juden unter islamischer Herrschaft viel seltener gegeben als im Christentum.“ Als seine „Lieblingsfrage“ in der Studie bezeichnet der Hamburger Forscher: „Aus welcher Schrift stammt der folgende Vers: ‚O ihr Kinder Israels! Gedenkt Meiner Gnade, die ich euch gewährt habe, und (denkt daran) dass ich euch Vorrang vor den Völkern gegeben habe‘?“ Nur 7,9 Prozent wussten, dass dies im Koran steht (Sure 2). „Die meisten waren sich sicher, dass es aus dem Alten Testament stammt.“ Nur 31,7 Prozent vermochten die Frage, welches heilige Buch das Töten von Ungläubigen oder Angehörigen anderer Religionen befürwortet, richtig beantworten: Koran, Bibel und Thora. Nur 35,4 Prozent wussten, dass auch der Islam Jesus als Propheten verehrt.

Die neuen Fakten veränderten die Meinungen der zuvor Befragten. So hatte zunächst eine Mehrheit von 57 Prozent den Islam als sehr intolerant eingeschätzt, hinterher waren es nur noch 43 Prozent. „Eine verbesserte Aufklärung über den Islam sowie die kritische Auseinandersetzung bezüglich des Missbrauchspotenzials von Religion kann helfen, Vorurteile abzubauen“, bilanziert Moritz die Ergebnisse. Das viel beschworene Abendland sei heutzutage unbestritten fortschrittlicher und toleranter als viele Gebiete des Morgenlandes. Es stelle sich aber die Frage, ob dies der christlichen Religion zuzuschreiben ist oder nicht vielmehr der Aufklärung, die unter dem Eindruck des Missbrauchs der christlichen Religion im Mittelalter eine Trennung von Kirche und Staat herbeiführte.

Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf