AfD und FDP könnten in die Bürgerschaft kommen. Aber auch der Amtsbonus zählt viel

Umfragen geben nur aktuelle Stimmungslagen wieder. Das sagt jeder Politiker, dessen Werte nicht besonders gut sind. Aber die geradezu magischen Zahlen der Sonntagsfrage können – trotz der zum Teil signifikanten Unsicherheit infolge der Schwankungsbreite – eine erhebliche psychologisch-suggestive Wirkung entfalten. Bei den Wahlkämpfern ohnehin, aber auch bei den Wählern.

Bei den aktuellen Umfragen des NDR und der „Bild“-Zeitung tritt dieser Effekt in zwei Fällen ein: Die AfD würde danach mit fünf oder sechs Prozent den Einzug in die Bürgerschaft als erstes westdeutsches Parlament schaffen. Die Euro-Gegner lagen bislang bei vier Prozent. Und die schon totgesagte FDP darf sich plötzlich wieder begründet Hoffnungen machen, eine parlamentarische Vertragsverlängerung von den Wählern zu bekommen. Der Sprung von zwei auf vier Prozent ist genau das Signal, das die liberale Spitzenkandidatin Katja Suding und ihre Mitstreiter herbeigesehnt haben dürften.

Durch die Hamburger Brille betrachtet muss der Zuwachs für die AfD überraschen: Die Partei auf der rechten Außenbahn des politischen Hellfelds hat im Wahlkampf bislang kein zündendes Thema gefunden. Die allgemeine Stimmungslage in Hamburg – auch das zeigen die Umfragen – ist gut. Das ist kein geeigneter Nährboden für eine Protestpartei, die die AfD schon qua Name sein will. Hinzu kommt, dass ihr ein zugkräftiger, charismatischer Spitzenkandidat fehlt.

So sind die Gründe für den positiven Trend an anderer Stelle zu suchen: Die AfD profitiert augenscheinlich von der tief greifenden Verunsicherung nach den unfassbaren Terroranschlägen von Paris und der Auseinandersetzung mit der Dresdner Pegida-Bewegung. Je deutlicher die Politiker der etablierten Parteien, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, aber auch die Medien einmütig einen klaren Trennstrich zu Pegida ziehen, desto enger schließen sich die Unzufriedenen zusammen. Das zeigen auch die steigenden Zahlen der Demonstrationsteilnehmer in Dresden.

Trotz mancher, aber meist halbherziger Distanzierung von der schillernden Pegida-Truppe stellt die AfD derzeit das einzige Angebot für die Menschen dar, die sich von „denen da oben“ nicht mehr vertreten fühlen. Die AfD bedient nicht in ihrem Programm, wohl aber in den Aussagen vieler ihrer Protagonisten tiefsitzende Ressentiments zum Beispiel gegenüber Zuwanderern, besonders wenn sie muslimischen Glaubens sind.

Hat die AfD wegen der Bundespolitik Zulauf, so ist es bei der FDP umgekehrt. Dass die Elbliberalen wieder an sich selbst glauben dürfen, hat einen Grund: Spitzenkandidatin Katja Suding. Schon 2011 war die erfolgreiche FDP-Kampagne ganz auf die attraktive liberale Frontfrau zugeschnitten. Es zählt zu den bedenklichen Tendenzen unserer Mediengesellschaft, dass ein Zweisekundenschwenk über Sudings Beine in der Tagesschau zu einer bundesweiten Topnachricht werden konnte. Suding, die cool und gewitzt auf die Aufregung reagiert hat, weiß um die Macht der Bilder. In gebotener Zurückhaltung sei gesagt: Das Auge wählt eben mit.

Ein Sechsparteienparlament würde die Chancen der SPD auf eine Wiedererlangung der absoluten Mehrheit weiter minimieren. Und doch: Die Zustimmung für Bürgermeister Olaf Scholz und die Zufriedenheit mit seiner Leistung ist laut Umfragen sogar noch gestiegen. Die SPD wird Scholz’ Amtsbonus konsequent ausspielen und darf aus zwei Gründen sogar auf einen Swing im letzten Moment hoffen: Erstens ist die Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Wahlentscheidung bei den Grünen-Anhängern am höchsten. Der eine oder andere könnte noch in Richtung SPD kippen. Zweitens: Das Wahlrecht mit seinen fünf Landesstimmen ermöglicht und befördert ein Stimmensplitting, was dem in fast allen politischen Lagern angesehenen Bürgermeister nutzen kann.