Warum nicht nur zu Weihnachten das Smartphone einfach mal aus bleiben sollte

Wenn Hamburger an einer roten Ampel innehalten müssen, sie auf dem Bahnsteig das Kommen der U-Bahn erwarten oder in der Schlange an der Supermarktkasse stehen, kommt die typische Handbewegung des 21. Jahrhunderts. Fast schon reflexartig reagieren wir auf jede Pause, jede Unterbrechung, um das Smartphone aus der Tasche zu fischen – und endlich wieder online zu sein. Wer daran zweifelt, dass es eine Handy-Sucht gibt, sollte in solchen Situationen einfach mal seine Umgebung beobachten. Wer seine Mitmenschen in den Blick nimmt und nicht nur den Bildschirm des eigenen Smartphones, gehen die Augen auf: Eine Gesellschaft verfällt dem Smartphone. Durchschnittlich greifen die Deutschen alle zwölf Minuten oder 80-mal am Tag zum Telefon – einige sogar Hunderte Mal.

Das hätten wir noch Mitte der 90er-Jahre für ausgeschlossen gehalten. Als das Funktelefon aufkam, galten die Geräte als Accessoire der Neureichen, Wichtigtuer und Aufschneider. Erst langsam – deutlich langsamer als etwa in Skandinavien – wurde das Mobiltelefon zum Instrument der Massen. Auch als Apple 2007 das iPhone auf den Markt brachte, mussten sich die ersten Nutzer kritischen Fragen stellen, etwa warum sie ständig auf ihr Telefon starren. Sieben Jahren und bald 600 Millionen iPhones später fällt das niemanden mehr auf, weil jeder nur noch auf sein eigenes Smartphone schielt.

Diese Beispiele zeigen, dass die Nutzung von Mobiltelefonen gesellschaftlichen Moden und Normen unterworfen ist. Deshalb erscheint die Prognose des Zukunftsforschers Matthias Horx durchaus realistisch, man werde bald als „ungebildet und charakterschwach“ gelten, wenn man auf sein Smartphone starrt. Schon jetzt wird an immer mehr Orten die Nutzung der Geräte verboten. Und immer mehr Menschen dämmert, dass sie mit dem Surfen im Netz Zeit verschwenden: Man folgt oft banalen Fast-Food-Gedanken auf Twitter, Nebensächlichkeiten auf Facebook oder verarbeitet Informationsmüll: Wir sind zu einer Gesellschaft der Liveticker geworden. Natürlich kann man zehnminütlich auf seine Aktienkurse starren, den Langfristwetterbericht verfolgen oder sich von Eilmeldungen über verdächtige Koffer in den Bann ziehen lassen, in denen am Ende nur Damenwäsche war. Aber es ist wie beim Fußball: Am Ende zählt das Ergebnis, der Zwischenstand ist irrelevant.

Ausgerechnet eine Gesellschaft, die ständig beklagt, keine Zeit zu haben, gestresst zu sein, unter Druck zu stehen, schlägt ihre Zeit tot. Ausgerechnet eine Gesellschaft, die Vereinsamung beklagt, flüchtet in „soziale Netzwerke“ und vernachlässigt echte Kontakte. Ausgerechnet eine Gesellschaft, die NSA, Big Brother und Überwachung fürchtet, lagert ihr ganzes Leben in virtuelle Wolken aus und überträgt die Kontrolle an das Mobiltelefon. Wir merken uns keine Geburtstage oder Telefonnummern mehr, unser Orientierungsvermögen wird durch Google-Maps ersetzt, unsere Allgemeinbildung durch Wikipedia.

Natürlich liegen darin enorme Chancen, aber eben auch Gefahren. Diese zu kennen und zu benennen, kann helfen, neue Techniken zum Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft zu nutzen und Grenzen zu definieren. Man mag Burn-out, die Flucht in die Sucht oder Depressionen für Zeitgeist-Erkrankungen halten, aber sie befallen in diesen Zeiten den Geist. Die permanente Erreichbarkeit, die ständige Verfügbarkeit verwischen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, Job und Zuhause.

Längst stellen Unternehmen wie etwa VW nach Dienstschluss keine Mails mehr zu. Inzwischen wachsen die Frei-Räume, in denen Smartphones mal Pause haben. Gerade an den Weihnachtstagen und zwischen den Jahren sei an den alten Ratschlag von Peter Lustig aus „Löwenzahn“ erinnert: Na los jetzt, abschalten!