Die 13 Jahre währende Afghanistan-Mission Deutschlands lehrt, künftige Militäreinsätze im Ausland vorher besser zu analysieren

Mit 22 Jahren ist ein Mensch körperlich vollständig ausgewachsen. Doch geistig zur vollen Persönlichkeit ausgereift ist er dann in den wenigsten Fällen. 22 Jahre – das ist das Durchschnittsalter jener mehr als 3200 Soldaten und Soldatinnen der westlichen Armeen, die in den 13 Jahren des Afghanistan-Einsatzes ums Leben gekommen sind. Deutschland und die Bundeswehr haben 55 Tote zu beklagen. Und während das deutsche Engagement am Hindukusch am Ende wohl um die 20 Milliarden Euro gekostet haben dürfte, fällt die Rechnung für die USA, die Führungsmacht des Einsatzes, ungleich höher aus: Die Londoner „Financial Times“ kam auf eine Zwischensumme von fast einer Billion Dollar. Das ist eine Eins mit zwölf Nullen. Damit handelt es sich um den bislang teuersten asymmetrischen Krieg der Geschichte. Asymmetrisch – das heißt, dass hochgerüstete reguläre Armeen auf einen schwer zu fassenden, in Guerilla-Kampfweise agierenden Gegner treffen.

Die allzu ehrgeizigen Kernziele dieser aufwendigen westlichen Mission – Befriedung des Bürgerkriegslandes, Ausschaltung der radikalislamischen Taliban sowie Installierung eines nach demokratischen und pluralistischen Regeln funktionierenden Staatswesens – wurden nahezu vollständig verfehlt.

Afghanistan ist nach wie vor von den Taliban akut bedroht, ist weiterhin in archaischen Clanstrukturen und einem rigiden Islamismus erstarrt, ist unglaublich korrupt und wird miserabel geführt. Der entsetzliche Sog der Gräueltaten der Terrormiliz IS in Syrien sowie der pakistanischen Taliban, die gerade in Peshawar 130 Kinder ermordeten, wird auch die afghanischen Taliban zu neuen Gewalttaten anstacheln.

Andererseits ist es in den 13 Jahren des Einsatzes zu erfreulichen „Nebenwirkungen“ gekommen. Mancherorts konnten die Infrastruktur aufgebaut und auch Mädchen zur Schule geschickt werden. Selbst unter dem Damoklesschwert einer Rückkehr der Taliban, die Mädchenschulen anzünden und Schülerinnen ermorden, um zu verhindern, dass die Kinder etwas lernen, haben sich kleine emanzipatorische Fortschritte ergeben. So lernen in den mehr als 70 Schulen, die der Hamburger Verein „Afghanistan-Schulen“ gebaut oder repariert hat, Tausende Mädchen mit großem Ehrgeiz. Neben viel verbrannter Erde hinterlässt der Westen also auch ein paar kleine blühende Oasen. Ein übereilter Abzug würde sie der Zerstörung durch die Taliban überlassen. Man hätte diesen Kriegseinsatz nicht beginnen sollen – aber nun kann es ebenso falsch sein, ihn beenden zu wollen, bevor die Afghanen ihr Land selber sichern können.

Allerdings hat Deutschland keinerlei nationale Interessen am Hindukusch. Der berühmte Ausspruch des früheren Bundesverteidigungsministers Peter Struck vom März 2004, Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt, ist unhaltbar, denn er überdehnt bei weitem die Parameter deutscher Sicherheitspolitik. Das deutsche Engagement war allein eine Bündnisleistung zugunsten der USA. Die Taliban hatten dem Terrornetzwerk al-Qaida Unterschlupf geboten, dessen Führung die Anschläge vom 11. September 2001 angeordnet hatte. Mit den 3000 Toten von New York, Arlington und Shanksville hatten die Taliban direkt gar nichts zu tun; der Afghanistan-Feldzug Amerikas war der Blitzableiter für eine bis ins Mark getroffene Nation, die sich in ihrer Wut nicht die Zeit zur gründlichen Analyse nahm.

Unter dem Stichwort „gelernte Lektionen“ sollte Afghanistan Anlass für uns Deutsche sein, künftige militärische Unternehmungen besser auf nationale Interessen und eine realistische Zielsetzung abzuklopfen. Und auch das hat der Feldzug am Hindukusch gelehrt: Es ist grundfalsch, einen Krieg verdruckst mit beschönigenden Friedens-Etiketten zu versehen und die Soldaten unzureichend bewaffnet und ausgerüstet ins Gefecht zu schicken, damit zu Hause bloß keiner merkt, dass Krieg ist. Und es ist vor allem falsch, einer anderen Kultur mit unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen die eigenen Werte oktroyieren zu wollen.

Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf