Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) glaubt, mit einer geheimen Strategie Inflation und Wachstum beeinflussen zu können

Vor Kurzem hat der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), der Italiener Mario Draghi, in Frankfurt eine Grundsatzrede über die geldpolitische Strategie der EZB gehalten, die sich dadurch auszeichnet, dass die wichtigsten Ziele gar nicht offen genannt wurden. Das wird unterstrichen durch seine gleichlautenden Äußerungen nach der jüngsten Sitzung des Rates der Zentralbank. Draghi wiederholt die seit Längerem bekannte Sorge der EZB, dass die Euro-Zone in eine Deflationsspirale mit anschließender Rezession wie in Japan rutschen könnte. Daher soll die Inflationsrate der Euro-Zone von aktuell 0,3 Prozent auf zwei Prozent angehoben werden.

Das kann die Zentralbank aber nicht verordnen, sondern sie muss versuchen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch Anreize so zu steigern, dass sich die Inflationsrate in die gewünschte Richtung bewegt. Für solche Anreize hat die Bank zwei Instrumente, nämlich die Zinssenkung und die Erhöhung der Geldmenge. Da die Zinsen schon bei null Prozent angekommen sind, ist das erste Instrument inzwischen stumpf. Daher hat Draghi die Absicht der EZB bekräftigt, die Geldmenge in der Euro-Zone durch Ankauf von Wertpapieren um eine Billion (1000 Milliarden) Euro auszuweiten.

Welche Wertpapiere werden nun von der Zentralbank angekauft? Man hat sich als Erstes für sogenannte Covered Bonds entschieden, das sind vorwiegend durch Immobilien gedeckte Schuldverschreibungen von Banken (in Deutschland z. B. Pfandbriefe). In den ersten beiden Wochen wurde davon ein Volumen von gut fünf Milliarden Euro angekauft. Rechnet man dies auf das nächste Jahr hoch, kommt man für 2015 auf etwa 130 Milliarden Euro.

Zusätzlich werden die aus der Finanzkrise bekannten Asset-Backed Securities (ABS), also forderungsgesicherte Wertpapiere, die ein Bündel verschiedener Kredite (Leasingkredite, Autokredite, auch Hypotheken) enthalten, angekauft. Obwohl die europäischen ABS von viel besserer Bonität als die ehemaligen „Schrottpapiere“ aus den USA sind, ist das Marktvolumen dieser Wertpapiere stark zurückgegangen und beträgt in diesem Jahr nach Schätzungen von Banken weniger als 100 Milliarden Euro. Die EZB hat nach eigenen Angaben in der ersten Woche ABS-Papiere im Volumen von 368 Millionen Euro gekauft. Schätzungen namhafter internationaler Banken kommen für 2015 auf 100 Milliarden Euro, was ich für zu hoch halte, da die EZB nur besonders bonitätsstarke ABS-Papiere kaufen will, die die Banken aber nicht gern abgeben werden. Der Ankauf beider Wertpapierarten wird weniger als 200 Milliarden Euro bringen und reicht bei Weitem nicht aus, um das angestrebte Ziel von einer Billion Euro zu erreichen. Das scheint auch der Präsident der EZB so zu sehen, denn er öffnet in seiner Rede zwei Hintertürchen: Zum einen trägt er nebulös vor, die EZB habe die technischen Vorbereitungen zur Umsetzung „weiterer“ Maßnahmen bereits getroffen. Zum anderen will er – falls die jetzt beschlossenen Maßnahmen nicht genügend wirken – die „Zusammensetzung“ der Aufkäufe ändern. Das klingt orakelhaft, doch kann es sich bei den zusätzlichen Wertpapieren nur um Unternehmens-, vor allem Staatsanleihen der Euro-Länder handeln, weil nur deren Volumen groß genug ist, um eine Billion Euro zu erreichen.

Geschickt vermeidet es Draghi, sich auf den Kauf von Staatsanleihen festnageln zu lassen, hält das aber nicht für verbotene Staatsfinanzierung. Obwohl dies umstritten ist, bin ich mit vielen Fachleuten der Meinung, dass der Tabubruch im Frühjahr 2015 vollzogen wird. Damit setzt die EZB auf eine verhängnisvolle Strategie, die nicht nur bedenklich ist, sondern wirkungslos bleiben wird, wie die Beispiele Japan und USA deutlich zeigen.

Die Bank of Japan hat seit 2012 die Geldmenge verdoppelt und Staatsanleihen in Höhe von einer Billion Euro aufgekauft, während das Wirtschaftswachstum gleichzeitig von 3,1 Prozent auf minus 1,1 Prozent eingebrochen ist. Die US-Notenbank hat ihre Geldmenge seit 2012 sogar um zwei Billionen Dollar erhöht, doch zeigt meine ökonometrische Analyse, dass weder die Inflationsrate noch die Wachstumsrate der Wirtschaft davon positiv beeinflusst wurden. Dass diese Strategie nun ausgerechnet in der Euro-Zone wirken soll, halte ich schlicht für Aberglauben.