Der HSV und der FC St. Pauli stehen auf Abstiegsplätzen. Woran liegt das?

Am Ende waren es genau zwei Tore, die die Fußballstadt Hamburg vom „Projekt 18“ trennte. Nur dank der 0:2-Niederlage des Konkurrenten Borussia Dortmund in Frankfurt blieb dem HSV anders als dem FC St. Pauli der Sturz auf den letzten Tabellenplatz erspart. Doch das macht die Situation nicht einfacher. Nach mehr als einem Drittel der Saison rangieren beide Hamburger Traditionsvereine auf einem direkten Abstiegsplatz.

Dabei sollte doch alles besser werden. Der HSV wagte mit neuer Rechtsform und neuer Führung den Neustart und gönnte sich trotz hoher Schulden Spieler für 27,5 Millionen Euro. Der FC St. Pauli zählte sich vor der Saison zum Kreis der Aufstiegsanwärter, das einstige Ziel, sich unter den Top-25-Clubs in Deutschland zu etablieren, genügte nicht mehr.

Wer nach Ursachen für den Niedergang forscht, landet zügig beim Faktor Personal. Und auffällig ist, dass beide Kader von der Qualität ihrer Einzelspieler alles andere als abstiegsreif sind. Doch beide Vereine eint ebenso, dass neu verpflichtete Spieler nicht annähernd ihr bekanntes Leistungsniveau erreichen.

Beim HSV ist dieses Phänomen seit Jahren bekannt. In Meteorologenkreisen wird gelegentlich diskutiert, ob die Elbe eine Wetterscheide sei, eine sportive Leistungsscheide ist sie ganz offensichtlich. Spieler wie Gojko Kacar, Ivo Ilicevic, Petr Jiracek, Marcus Berg, aber auch deutsche Nationalspieler wie Heiko Westermann oder Marcell Jansen haben beim HSV bestenfalls stagniert, in der Regel aber enttäuscht. Diese Liste lässt sich bei den neuen Transfers nahtlos fortsetzen: Nicolai Müller galt vor allem durch seine Schnelligkeit beim Europa-League-Qualifikant Mainz als Schlüsselspieler, Lewis Holtby schoss noch 2012 den FC Schalke 04 mit in die Champions League, Matthias Ostrzolek war Stammspieler im Überraschungsteam Augsburg. Beim HSV sind, so scheint es mitunter, jetzt ihre Doppelgänger unterwegs.

Der FC St. Pauli wiederum galt über Jahre als sportliche Wiederbelebungsstation für anderswo gescheiterte Profis wie Matthias Lehmann oder Max Kruse. Vorbei. Inzwischen zweifelt Rachid Azzouzi, Sportchef des Kiezclubs, öffentlich, ob die neuen Spieler, verpflichtet für einen Aufstiegsaspiranten, für das Stahlbad Abstiegskampf wirklich taugen.

Geht es den Spielern in Hamburg zu gut? Werden sie zu sehr gepampert? Der „Die-müssen-endlich-Gras-fressen“-Reflex wirkt im modernen Fußball seltsam anachronistisch. Und doch lohnt die Frage nach den fehlenden Kämpfertypen in beiden Teams. Ganz offensichtlich sind viele schon zufrieden, wenn sie den Sprung in die zweitgrößte deutsche Stadt überhaupt geschafft haben. Sie können in Stadien mit großartiger Atmosphäre kicken, angefeuert von Fans, auf deren Treue auch in Krisen Verlass ist. Am Millerntor gilt Schweigen der Anhänger schon als maximal erlaubter Protest bei enttäuschenden Vorstellungen. Beim HSV konnte sich das Abendblatt vor Anfragen von Unternehmen und Behörden kaum retten, als es im Abstiegskampf der vergangenen Saison darum ging, Unterstützer für die große „Niemals Zweite Liga“-Kampagne zu finden. Und während bei Aufsteiger Paderborn die Spieler Fahrgemeinschaften zu einem benachbarten Kunstrasenplatz bilden müssen, falls der heimische Acker nach einem Wintereinbruch mal wieder unbespielbar ist, verdienen die Trainingsanlagen der Hamburger Clubs das Prädikat erstklassig. Zudem darf hier jeder Spieler seiner Familie ein Wohnumfeld in einer Stadt bieten, deren Lebensqualität bei allem Respekt dann doch höher einzustufen ist als in Paderborn, Aue oder Sandhausen.

Kostet der Wohlfühlfaktor am Ende die letzte Gier? Die Antwort im Abstiegskampf können nur die Spieler geben. Am besten schon am nächsten Spieltag.