Der neue Bremer Trainer Viktor Skripnik macht vor, wie es funktionieren kann. Am Sonntag ist Werder der nächste HSV-Gegner

Nachtgedanken. Von Heinrich Heine. Die ziehen mir in diesen Tagen – in etwas veränderter Form – durch den Kopf. „Denk ich an Werder in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ Immer dann, wenn die Bremer im Volkspark zu Gast sind, herrscht hier Alarmstimmung. Dabei geht es schon lange nicht mehr darum, wer die Nummer eins im Norden ist, diese Frage ist heute keine mehr – für beide Clubs. Hamburger und Bremer stehen fast auf Augenhöhe, dem HSV geht es genau genommen wieder ein wenig schlechter, aber egal wie, die Jungs von der Weser sind deswegen immer so unangenehme Gäste, weil es ihnen fast immer gelang, den Hamburgern kräftig in die Suppe zu spucken.

Beide Vereine haben sich jüngst neue Trainer zugelegt, jener Coach der Bremer ist einige Tage jünger im Amt. Und er nötigt den Hamburgern mit Startsiegen nicht nur Respekt ab, sondern flößt auch gleichzeitig etwas Angst ein. Viktor Skripnik heißt der Mann, der die Bremer wieder zum Leben erweckte, er schaffte drei Siege in Folge. Und blieb dabei bewundernswert bescheiden und still.

Dabei hatte der 45-jährige Ukrainer sein Amt etwas anders angetreten, als es gemeinhin die „neuen Besen“ anderer Bundesliga-Clubs zu tun pflegen. Skripnik zog nicht die Zügel an, er verteilte nicht Zuckerbrot und Peitsche neu, er gefiel sich auch nicht durch noch so kluge Sprüche – Skripnik dachte nach und ließ sich etwas Außergewöhnliches einfallen. Außergewöhnliches und vielleicht auch Wegweisendes.

Geschehen am elften Spieltag, bei der von Abstiegsängsten geprägten Partie Werder gegen Stuttgart. Die Bremer führten 1:0, als es einen Eckstoß für sie gab. Am langen Pfosten positionierte sich dabei Werders Fin Bartels, und als der Ball flach in Richtung Strafraumgrenze gespielt wurde, lief Bartels zurück Richtung Mitte, an Freund und Feind vorbei, und schoss den Ball kurzerhand ins VfB-Tor. Clever gemacht.

Entstanden war dieser „Trick“ an der Taktiktafel Skripniks. Der neue Werder-Coach hatte sich nicht nur Gedanken darüber gemacht, wie er diese Mannschaft fit macht oder fit hält, sondern auch darüber, wie Tore zu erzielen sind. Kompliment, zumal diese Variante im Training zwar nicht sonderlich gut geklappt hatte, aber dennoch nicht verworfen wurde.

Enge Spiele werden heutzutage auch und nicht selten durch Standards entschieden. Skripnik hat sich gleich zu Beginn seiner Erstliga-Karriere als Trainer daran erinnert. Und vielleicht auch den einen oder anderen Kollegen aufgeweckt. Eck- und Freistöße hat nämlich nicht jeder Trainer in seinem Repertoire, kommen aber wohl allmählich in Mode. Leverkusens Son traf nach einem Trick in St. Petersburg, Nationalspieler Thomas Müller versuchte es im WM-Spiel gegen Algerien mit einem Stolper-Trick.

Nur beim HSV gibt es so etwas so gut wie nie zu sehen. Im Hamburger Volkspark werden genau diese Standards immer schon traditionell ein wenig (oder ein wenig mehr) stiefmütterlich behandelt. Oder können Sie sich als HSV-Fan mal an einen besonders gelungenen und dazu auch noch erfolgreichen Freistoß-Trick erinnern? Eben!

Standard-Übungen beim HSV sahen in der jüngeren Vergangenheit und gegen Ende des Abschlusstrainings oft so aus: drei Ecken von rechts, drei Ecken von links, vier Freistöße aus dem Halbfeld – und dann ging es zum Duschen in die Kabine. Gelegentlich waren es sogar nur zwei Ecken von links und zwei von rechts. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Und wenn jemand beim HSV aus Angst davor, dass Scouts des Gegners diese Standard-Übungen ausspionieren könnten, deswegen auf Freistoß-Tricks verzichtet, dann sollte es eben nur in der Theorie und an der Tafel einstudiert werden, oder man setze mal ein Training „außer der Reihe“ an. Beim HSV wird ja jede Übungseinheit genau terminiert und angezeigt (ein Superservice für die Fans!) – aber man könnte auch einfach mal ein zweites Mal auf „den Acker“ gehen, ohne es vorher groß zu publizieren.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab