Das Hartz-IV-Urteil des Europäischen Gerichtshofs stärkt den europäischen Gedanken

Keine Freiheit ohne Verantwortung. Das gilt auch für die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Schon im Wort steckt der Begriff „Arbeit“. Wer hier erst gar keine Arbeit sucht und deswegen auch keine findet, hat auch keinen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen. So hat es jetzt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden. Zuungunsten einer rumänischen Frau, die mit ihrem Kind nach Leipzig gezogen war und sich dort zwar nicht um Arbeit, wohl aber um Sozialleistungen bemüht hat.

Viel ist in den vergangenen Monaten über den Sozialtourismus debattiert worden, nicht nur in Deutschland. Immer wieder im Blickpunkt: Bürger aus Rumänien und Bulgarien, die seit Jahresbeginn die volle Freizügigkeit genießen. Nach ersten statistischen Erkenntnissen hat sich die Zahl der beschäftigten Rumänen und Bulgaren zwischen Juli 2013 und Juli 2014 von rund 164.000 auf etwa 253.000 erhöht. Gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl der rumänischen und bulgarischen Hartz-IV-Empfänger von 37.800 auf 66.500 fast verdoppelt. Es gibt also durchaus ein Problem, besonders wohl mit der Volksgruppe der Roma, die in ihrer Heimat diskriminiert werden – angefangen von der Bildung über das Sozialwesen bis zum Arbeitsmarkt.

Genau hier ist die Gemeinschaft in der Pflicht, wenn in einzelnen Mitgliedstaaten Bürgerrechte verletzt werden und Gelder zur Verbesserung der Lage der Roma von den betreffenden Staaten nicht einmal voll abgerufen werden. Es kann nicht die Aufgabe einzelner Mitgliedsländer sein, derartige Probleme und Versäumnisse anderer Regierungen über ihre Sozialkassen zu entschärfen. Auch nicht, wenn die Zahl der Fälle das deutsche Sozialsystem kaum ernsthaft bedroht – wohl aber den Frieden in einzelnen Kommunen. Im Übrigen ist es für alle Beteiligten besser, sich an Geist und Buchstaben von Gesetzen zu halten, als Emotionen zu folgen. Weder in Richtung unbegrenzter Aufnahme aller Bedürftigen dieser Welt noch in schroffer Abgrenzung. Denn noch eins hat das Gericht festgelegt: Es gilt auch hier in jedem Fall die Einzelfallprüfung. Generelle Einreiseverbote für bestimmte Personengruppen, wie sie etwa dem britischen Regierungschef Cameron vorschweben, entsprechen weder dem Geist der europäischen Freizügigkeit noch der Gesetzeslage.

Deutsche Jobcenter und Kommunen haben nun mehr Rechtssicherheit bei ihren Entscheidungen. Und sie werden sie verantwortungsvoll nutzen. So weit, so gut.

Auch am anderen Ende der Einkommenskette hat sich übrigens in Europa ein Sozialtourismus etabliert, dem nicht ganz so konsequent begegnet wird und der genau genommen asozial genannt werden muss. Das liegt zum einen daran, dass Vermögende sich nicht bei einem staatlichen Amt, sondern bei ihrem Finanzberater melden, wenn sie Hilfe brauchen – beim Vermeiden von Steuern in ihrem Heimatland etwa. Und daran, dass die Staaten erst langsam damit beginnen, mittels internationaler Abkommen den krassesten Vermeidungsmodellen zu Leibe zu rücken und noch immer legale Schlupflöcher endlich zu schließen. Manches EU-Mitglied wie Luxemburg hat derlei sogar zum einträglichen Geschäftsmodell erhoben. Zum Nachteil der anderen Mitgliedstaaten und zulasten derer Einnahmen – auch für die Sozialkassen.

Die jährlichen Verluste gehen geschätzt in die Milliarden Euro. So viel Schaden wie die Reichen des Kontinents können die Bittsteller an den Türen von Jobcentern und Sozialämtern der EU gar nicht anrichten. Nicht einmal, wenn sie wirklich in Massen den attraktivsten Leistungen folgen würden. Auch hier gehört zur Freiheit die Verantwortung – vor allem, weil man sich beides leisten kann. An dieser Stelle ist aber wenig zu hören von den Camerons in der EU.