Ja, nennt mich meinetwegen Spaßbremse. Aber einmal im Jahr erlaube ich mir den unverschämten Luxus, die Freiheit des Einzelnen wörtlich zu nehmen. Deshalb werde ich heute ab Einbruch der Dunkelheit das Treppenhaus wie immer mit grüner Seife präparieren und meine Türklingel ausschalten. Und wenn es dennoch an meine Tür bollern sollte, werde ich diese nicht öffnen. Niemals. Denn es kann sich ja nur um eine der unzähligen vagabundierenden Kinderhorden handeln, die in furchterregenden Verkleidungen die Herausgabe von Süßigkeiten erzwingen wollen. Allein die Frage „Süßes oder Saures?“ erfüllt meines Erachtens den Straftatbestand der räuberischen Erpressung nach § 255 StGB, wobei als Drahtzieher vermutlich die Mütter infrage kommen, die ihre halslosen Monster im Familienvan von Hauseingang zu Hauseingang kutschieren, damit sie sich bloß nicht erkälten.

Es ist also mal wieder Halloween, dieses ursprünglich keltische Fest zu Allerheiligen, das jedoch nach der irischen Auswanderungswelle um 1840 herum in der Neuen Welt hoffnungslos amerikanisiert wurde und seit einigen Jahren pünktlich am 31. Oktober in die Alte Welt zurückschwappt. Als ein Tsunami des inhaltsleeren Frohsinns, der ausschließlich auf den Konsum (von Süßigkeiten) ausgerichtet ist.

Denn da war doch noch was! Hat nicht dieser Martin Luther am 31.Oktober des Jahres 1517 seinen Thesenanschlag verübt? Der Legende nach soll er damals seine Kritik an Papst und römischer Kirche eigenhändig an die Kirchentür in Wittenberg genagelt haben. Klopf, klopf, klopf!

Luthers 95 Thesen besaßen eine enorme Sprengkraft, deren Detonationswelle bis heute spürbar ist. Nicht zuletzt führten sie zur Spaltung der abendländischen Kirche, und so kann man diesen Reformationstag wohl als einen der wichtigsten Tage der neueren Menschheitsgeschichte betrachten. Doch es ist auch ein Tag, der zunehmend in Vergessenheit gerät, denn es ist weitaus anstrengender, sich mit der Reformation und ihren Folgen auseinanderzusetzen, als um einen ausgehöhlten Kürbis herumzutanzen, in dem ein Teelicht brennt. Dabei müsste gerade die Diskussion über die „Freiheit des Einzelnen“ – eine der zentralen Thesen Luthers – in unserer Spaß- und Spargesellschaft dringend intensiviert werden. Wenigstens einmal im Jahr, am Reformationstag. „Süßes oder Saures?“ gehört aber mit Sicherheit nicht zu den großen gesellschaftspolitischen Fragen. Und überhaupt, liebe Kinder, es heißt korrekt: „Süßes, sonst gibt’s Saures!“