In der Sprache der Politik ersetzen die Farbbezeichnungen die Parteinamen. Ein Schwarzfahrer kann durchaus ein Weißer sein

Auf einem Kalenderblatt wird nach einem Wort gefragt, das folgende Bedeutungen haben kann: alternativ, arglos, belaubt, umweltbewusst, unerfahren oder unreif.

Alle Begriffe können Synonyme zu einem einzigen Adjektiv sein – zu dem kleinen Wörtchen grün. Es grünt in der deutschen Sprache, wobei dieses Attribut seltener eine Farbe bezeichnet als einen Zustand, eine Einschränkung oder eine Abwertung. Niemand wird etwas gegen einen grünen Baum, einen grünen Frühling oder einen grünen Wald einwenden, vielmehr überkommt uns ein Abschiedsschmerz vor dem nahenden Winter, wenn die Blätter im Herbst erst bunt werden und dann abfallen.

Wer jedoch grün hinter den Ohren ist, hat die Reife eines Erwachsenen noch nicht erreicht, was nicht unbedingt eine Frage des Alters sein muss. Mancher kommt nie auf einen grünen Zweig, wird also nie erfolgreich wachsen wie die Natur im Frühjahr. Wahrscheinlich werden Sie sich mit Ihrer Tätigkeit im grünen Bereich bewegen, sodass sich Ihre Nadel im Messinstrument im grünen und nicht im roten Feld bewegt. Im Übrigen ist es nicht dasselbe in Grün, ob Sie eine Verkehrsampel bei Grün oder Rot passieren.

An dieser Stelle lässt es sich nicht vermeiden, ein wenig politisch zu werden. Die Grünen besetzen als Partei die Attribute umweltbewusst und alternativ, und die Hamburger Grünen waren, als sie noch GAL hießen, im Namen sogar beides, nämlich grün und alternativ. Es grenzte an Verleumdung, die Grünen mit den Attributen arglos, unerfahren oder unreif in Verbindung bringen zu wollen. Auch Parteien, die in Turnschuhen begannen, entwickeln sich fort.

Überhaupt werden in der Nachrichten- und Umgangssprache gern Farbsymbole zur Kennzeichnung politischer Parteien benutzt. Obwohl der Papst Weiß trägt, steht Schwarz seit Bismarcks Kulturkampf für Talar und Christentum, wenn seit Langem auch kein CDU- oder CSU-Abgeordneter mehr mit einer Bibel unter dem Arm gesehen worden ist. Da die FDP nicht blass und farblos dastehen wollte, sicherte sie sich 1972 die Kombination Gelb/Blau. Braun erinnert an die Farbe der SA-Uniformen und Rot an die rote Fahne der Arbeiterbewegung, an Blut und Revolution. Da die Roten in Thüringen allerdings zurzeit dabei sind, ihre Zukunft an noch rötere Genossen zu verpfänden, müssen wir, um nicht sogar Farbschattierungen aufzurufen, die politische Farbenlehre verlassen und uns der Sitzordnung zuwenden. Die Linken sind nicht links, weil die Mehrzahl der Wähler die rechte und nicht die linke Hand bevorzugt, sondern weil zuerst im französischen Parlament laut Duden links vom Präsidenten die Gruppe von Leuten saß, die kommunistisches oder sozialistisches Gedankengut vertrat.

Da es seit Adenauer (1957) keine absolute Mehrheit im Bundestag gegeben hat, müssen Koalitionen (Bündnisse) gebildet werden, die landauf und landab mit Farben bezeichnet werden. 1998 löste Rot-Grün die schwarz-gelbe Regierung ab – und jeder versteht, was gemeint ist: Helmut Kohl ging in Pension, Schröder und Fischer übernahmen. Um doch noch etwas Grammatik in diese Kolumne einzuschmuggeln, sei darauf hingewiesen, dass es auf das richtige Pronomen ankommt, wenn Farbbezeichnungen anstelle der Parteinamen gebraucht werden. Reden wir von einem Bündnis (Neutrum), so heißt es: Rot-Grün hat mit seiner Agenda neue Maßstäbe gesetzt, bezieht sich der Zusammenhang jedoch auf eine Koalition (Femininum), müssen wir sagen: Rot-Grün treibt die Umsetzung ihres Regierungsprogramms weiter.

Nicht grün, sondern schwarz sah ein Linken-Angeordneter, der die städtischen Verkehrsbetriebe aufforderte, das Wort Schwarzfahrer „durch einen anderen Begriff, der nicht rassistisch ist“, zu ersetzen, denn das Wort stelle „die Hautfarbe bestimmter Menschen in einen negativen Kontext“. Abgesehen davon, dass es mehr weiße als schwarze Schwarzfahrer gibt, hat dieses Kompositum nicht das Geringste mit der Hautfarbe zu tun, sondern bezeichnet etwas, das heimlich und im Verborgenen geschieht. Andere Beispiele: Schwarzmarkt, Schwarzgeld, Schwarzhandel oder Schwarzarbeit. Übrigens geschah diese Fehlinterpretation im Münchner Stadtrat, nicht etwa in Hamburg, wie Sie vielleicht vermutet haben.

Der Verfasser, 73, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags