Nicht der Genitiv ist gefährdet, sondern das Genitivobjekt. Für alle Erinnerungstage gilt: Wir gedenken im Genitiv und nur im Genitiv!

In einem kostenlosen Anzeigenblatt fand ich folgende Überschrift: „Am 71. Todestag von Carl Harz am 13. August gedenken ihm die Reinfelder“. Auweia! Hier haben wir es weniger mit der Tücke des Objekts als mit dem Missbrauch der Grammatik zu tun. Zwar sollte sich jeder Journalist zuallererst um seine eigenen Fehler kümmern, doch eine solche Überschrift blamiert einen ganzen Berufsstand. Von einem Pianisten verlangen wir ja auch, dass er zumindest die C-Dur-Tonleiter spielen kann.

Deutlich verfehlt wurde hier das Genitivobjekt. Nicht wem gedenken die Reinfelder, sondern wessen, nicht „ihm“, sondern seiner. Wenn der Dativ nach Bastian Sick „dem Genitiv sein Tod“ ist, so befindet sich das Genitivobjekt erst recht in einem dramatischen Überlebenskampf, denn es wird nicht nur vom Dativ, sondern auch vom Akkusativ und von präpositionalen Fügungen bedroht. Das Genitivobjekt ist der Wachtelkönig der Grammatik – wir hören das Rascheln im Gebüsch, ordnen es aber leicht dem falschen Vogel zu.

Der Ausdruck „Objekt“ (lat. „das Entgegengeworfene“) kann vielerlei bedeuten, laut dem „Universalwörterbuch“ zum Beispiel eine von der Stasi genutzte Wohnung, doch wir wollen es rein sprachwissenschaftlich betrachten. Beim Objekt geht es um einen Satzteil, der die Aussage ergänzt. In der Grundschule sagten wir deshalb Satzergänzung dazu. Ohne Objekt hängt mancher Satz in der Luft. Das Mädchen lobt, bietet uns zwar Subjekt (Mädchen) und Prädikat (lobt), trotzdem befriedigt uns dieser Stakkato- oder Boulevardstil nicht. Unwillkürlich fragen wir im Stillen: Wen oder was lobt das Mädchen? Seinen Vater! Nun ist der Satz rund und klar: Das Mädchen lobt seinen Vater.

Bei diesem Beispiel haben wir den Satz durch den Vater im Akkusativ, also durch ein Akkusativobjekt, ergänzt. Verben, die ein Akkusativobjekt fordern oder direkt darauf zielen, nennen wir transitive (zielende) Verben: Sie besucht ihre Mutter. Der Bauer pflügt den Acker.

Das Dativobjekt ist eine Ergänzung im 3. Fall, im Dativ (Frage: wem?): Das Mädchen dankt seinem Vater. Er misstraute diesen Worten. Benötigt ein Verb jedoch zusätzlich eine Präposition, um den Satz durch ein Objekt zu ergänzen, so haben wir es mit einem Präpositionalobjekt zu tun: Sie achtet auf ihre Gesundheit. Die Präposition ist in dieser Fügung fest und darf nicht ausgetauscht werden. Man kann das Objekt nur mithilfe der betreffenden Präposition erfragen – also nicht: Wen oder was achtet sie?, sondern: Auf wen achtet sie?

An dieser Stelle meldet sich Fritzchen und hat Zweifel an der festen Präposition: Die Mannschaft wartet in/ neben/ an/ vor der Kabine – ein wahres Potpourri an Präpositionen! Ja, sagt der Lehrer, aber jetzt handelt es sich ja gar nicht mehr um ein Objekt, sondern um den Satzteil der adverbialen Bestimmung (des Ortes). Wie man den Unterschied feststellt? Eine adverbiale Bestimmung wird ohne die Präposition erfragt, also nur: Wo wartet die Mannschaft?

Die Objekte im Akkusativ, Dativ oder mit Präposition treten so häufig auf, dass sie die dicksten Bücher sprengen. Genitivobjekte, Verb-Ergänzungen im 2. Fall (Frage: wessen?), sind dagegen selten und werden immer seltener. Wir sollten sie sorgsam bewahren und pflegen: Er enthält sich der Stimme. Sie bedarf meiner Pflege. Der Herr erbarmt sich seiner. Sie schämt sich seines Benehmens. Er erinnert sich des Unfalls. Wenn wir lesen: Er erinnert sich an den Unfall, so nagt hier bereits das Präpositionalobjekt am Genitivobjekt.

Beim Verb gedenken dürfen wir allerdings keinerlei Kompromisse eingehen. Wir gedenken im Genitiv, nur im Genitiv und immer im Genitiv! Die Reinfelder gedenken seiner oder ihres Mitbürgers, ganz Deutschland gedenkt des Falls der Mauer, und Ende November gedenken wir der Toten und nicht etwa „den“ Toten.

Wer kennt noch mehr Genitivattribute?, fragt der Lehrer. Fritzchen: Das Kleid meiner Mutter, die Hitze des Tages, das Grauen der Nacht. Halt!, ruft der Lehrer. Hierbei handelt es sich um keine Genitivobjekte, sondern um Genitivattribute, also um keine Ergänzungen, sondern um Beifügungen. Der Unterschied ist klar definiert: Ein Genitivobjekt bezieht sich auf ein Verb, ein Genitivattribut jedoch auf ein Substantiv.