Deutschland ist politisch absolut korrekt – nur eine Gruppe darf hemmungslos verspottet werden

Minderheiten sind in Deutschland beliebt. Egal, welche sexuelle Neigung man hat, welche Herkunft oder welche Götter, sofort trifft man auf Fürsprecher, Unterstützer, Interessenvertreter. Für sie wurden Antidiskriminierungsgesetze ersonnen, sie sind die Helden der Talkshows, herzerweichender Sozialreportagen oder gesellschaftskritischer Kulturschaffender. Besonders ambitionierte Wissenschaftler basteln sogar schon an einer neuen vermeintlich gerechten Sprache, um keinen mehr auszugrenzen. Nein, hier kommt nun kein Minderheiten-Bashing. Der Umgang mit Andersdenkenden, Andersfühlenden und Andersgläubigen ist ein Zeichen der Souveränität und Aufgeklärtheit einer Gesellschaft. Nur bitte: Diese Toleranz haben auch die verdient, die man politisch, ideologisch oder persönlich ablehnt.

Es gibt jedoch eine Minderheit, über die man sich in Deutschland so uneingeschränkt lustig machen darf wie sonst nur über Vertriebenenverbände oder bibeltreue Katholiken: über kinderreiche Familien. Schon die Begrifflichkeit überfordert die Deutschen: Viele verbinden damit, so konstatieren Wissenschaftler, etwas Negatives, eine „gewisse soziale Nachlässigkeit“. Kinderarmut hingegen wird gern zum statistischen Kampfbegriff oder zum Argument gegen die vermeintliche soziale Verelendung der Massen. Die echte Kinderarmut – die Armut an Kindern – interessiert kaum. Dabei hat sich die Zahl der Kinderreichen, die drei und mehr Kinder haben, im Laufe des 20. Jahrhunderts halbiert und nimmt weiter rapide ab. Nach Aussage der Deutschen Gesellschaft für Demografie ist das eine „charakteristische Entwicklung“ für Deutschland, im Gegensatz etwa zu Frankreich mit seinen starken Geburtenzahlen. Manuela Schwesig (SPD) ficht das nicht an. Sie sagte kürzlich in einem Interview, die Bevölkerungsentwicklung sei nicht ihr Thema. Sie ist übrigens Familienministerin.

Vor einigen Wochen haben gleich mehrere AfD-Politiker gewagt, der Drei-Kind-Familie das Wort zu reden. Auch wenn diese Partei in vielen Forderungen grenzwertig ist, das Echo auf diese Idee muss verstören. Die AfDler fordern ja nur, was in Frankreich seit Jahrzehnten sozialistische Realpolitik ist. In Deutschland hingegen hält man Fürsprecher einer kinderfreundlicheren Politik sogleich für radikal, weltfremd, durchgeknallt. „Drei Kinder und bloß kein Swinger-Club“, witzelte das „Wall Street Journal“ online, „Die Kräfte der Gegenreform sind angetreten“ befand der „Freitag“, der „Focus“ machte sich über „Die wundersame Welt der Frauke Petry“ lustig. Den Vogel schoss ein Blogger der „FAZ“ ab, der sich unter dem Titel „Teures Kalifat: Der AfD ein Drittkind schenken“ an dem Thema abarbeitete. Es sollte Satire werden, es wurde ein furchtbarer Text mit Sätzen wie „Zwangszucht von Kindern in gesellschaftlichen Verhältnissen, die dafür längst nicht mehr eingerichtet sind“. Ja, Satire darf vieles. Aber manchmal sollte man einfach die Klappe halten.

Diese Reaktionen passen ins Bild. Familien mit mehreren Kindern treffen auf einen Alltag, der von jedem Antidiskriminierungsgesetz unbeleckt ist. Und das seit Jahrzehnten. Die frühere „Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien“ hieß im Volksmund „Karnickelpass“ – im Deutschland der 70er-Jahre hielt man Eltern mit drei oder mehr Kindern offenbar für paarungsfreudige Nagetiere. Wer heute bei Hagenbeck ein Familienticket kaufen will, bekommt mit bis zu drei Kindern Vergünstigungen – das vierte zahlt wieder voll, es ist nicht vorgesehen. Wenn Menschen beim Makler ein Haus mit mehr als zwei Kinderzimmern suchen und scheitern, bekommen sie auf die Frage, wohin man solle, zu hören: Ziehen Sie doch in den Block, da wohnen solche Leute. Bis heute muss sich eine Mutter mehrerer Kinder der Frage erwehren, ob sie christliche Fundamentalistin oder Lehrerin sei, der Vater bekommt den Spruch „Hast du noch andere Hobbys?“ zu hören. Hahaha.

Kinderreiche Familien haben das Pech, der falschen Minderheit anzugehören, die statt Beschützerinstinkte bei vielen nur Verwunderung oder Verachtung weckt. Dabei fordern die Familien gar nicht viel. Genauso viel Aufmerksamkeit wie andere Minderheiten wäre ein Anfang. Sie würden sich oftmals wünschen, dass sich Filmemacher so rührend-verständnisvoll um sie kümmern, Politiker sie in den Mittelpunkt rücken oder ganze Innenstädte für ihre Umzüge Straßen sperren.