Neue Stadtviertel müssen den Geist unserer Epoche widerspiegeln und Neues schaffen

Die Architektur von Neubauten ist eines der Themen, die über Jahre hinweg zum Teil heftige Reaktionen von Abendblatt-Lesern auslösen. Man erinnere sich nur an die Pläne, mitten in der Stadt auf dem Domplatz einen gigantischen Glaswürfel zu errichten. Nachdem Kritik von vielen Seiten aufkam – Altkanzler Helmut Schmidt sprach von einer Verschandelung der City –, kippte der CDU-geführte Senat das Projekt im Dezember 2006.

Auch die Debatte um die Bauten in der HafenCity wurde über Jahre kontrovers geführt. Inzwischen zeichnet sich in dem neuen Stadtteil urbanes Leben ab, und die Diskussion beschäftigt sich eher damit, wie die soziale Durchmischung gewährleistet und wie in dem Viertel der Boden für eine dauerhafte Ansiedlung von Geschäften und Kneipen bereitet werden kann, ohne dass die Stadt eine weitere Einkaufsmeile erhält.

Seit die mit absoluter Mehrheit regierende SPD ihr Wohnungsbauprogramm aufgelegt hat – jedes Jahr sollen rund 6000 Wohnungen errichtet werden –, beschäftigt die Frage, in welchem Stil all die neuen Gebäude errichtet werden sollen, wieder in regelmäßigen Abständen die Stadt.

Viele Leserbriefschreiber machen keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Klötzchen- und Kastenbauweise, die neue Wohnviertel auszeichnet. Die zuletzt bekannt gewordenen Pläne für die Neue Mitte Altona und der beabsichtigte Abriss der City-Hochhäuser haben die Debatte genauso befeuert wie das Beispiel aus Eimsbüttel, bei dem ein Bauherr in der Wiesenstraße ein Niedrigenergiehaus mit Gründerzeitfassade errichten ließ.

„Geht doch!“, denkt so mancher Kritiker moderner Bauten, wenn er vor dem Gebäude steht. Allerdings hat auch Oberbaudirektor Prof. Jörn Walter recht, wenn er für eine differenzierte Sicht auf die Neubauprojekte wirbt.

In Eimsbüttel passt dieses „Gründerzeitniedrigenergiehaus“ sehr gut in die nähere Umgebung. Die Wiesenstraße und die Eichenstraße sind gespickt mit teilweise wunderschönen Gründerzeitgebäuden. Nicht zuletzt liegt die Wiesenstraße in dem Teil von Eimsbüttel, der in den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges nicht ganz so zerstört wurde wie andere Viertel. Es gilt – auch da liegt der Oberbaudirektor richtig –, Geschichte zu bewahren, auch wenn es in Teilen lediglich ein Nachbau ist.

Was die Errichtung von Wohngebäuden auf bis dahin unbebauten Flächen wie die HafenCity oder die Neue Mitte Altona angeht, so ist der Hinweis von Prof. Walter bedenkenswert, dass jede Zeit ihren Architekturstil habe und Orte durch Architektur neu definiert werden sollten.

Auf dem Gelände der Neuen Mitte Altona gab es bislang überwiegend Bahnanlagen und Fabrikgebäude. Wenn an dieser Stelle in den kommenden Jahren wie geplant ein neuer Stadtteil entstehen soll, muss dieser auch Ausdruck unserer Zeit sein. Er muss im positiven Sinne den Geist unserer Zeit widerspiegeln: soziale Durchmischung, Rückbesinnung auf funktionierende Hausgemeinschaften, ökologisches und nachhaltiges Bauen.

Es liegt in der Hand, dass Bauen in der heutigen Zeit sich von der Errichtung von Gebäuden zur Gründerzeit unterscheiden muss. In rund 80 Prozent der Hamburger Haushalte leben heute maximal zwei Personen. Hinzu kommt, dass heutzutage jeder einen berechtigten Anspruch auf eine komfortable Wohnung hat. Das macht das Bauen teurer. Überall im Stile der Gründerzeit zu bauen wäre nicht bezahlbar.

Prof. Walter hat recht, wenn er sagt: Das Chilehaus sei in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts etwas Neues gewesen. Was wir heute unter Denkmalschutz stellen, war damals architektonisches Neuland.