Wer den Sprung in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft schaffen will, muss mehr tun als der Durchschnitt

Stoßstürmer. Irgendwie ein hässliches Wort. Früher hieß es Mittelstürmer, was vielleicht auch an Uwe Seeler lag, der diesem Begriff einst mit seinem stets direkten Weg zum Tor ewigen Glanz verliehen hat. Aber egal, wie es der Fußballfan nun nennt, den Weltmeistern fehlt ein solcher Mann. Ein Angreifer, der dorthin geht, wo es wehtut. Im Sturm lief am Dienstag nichts zusammen, in der Mitte nicht viel, und hinten verkümmert die Souveränität zu einem Fremdwort. Und während des blutleeren Kicks gegen Irland fragte ich mich in Bezug auf den einen oder anderen deutschen Nationalspieler, was für tragende Rollen wohl ein Uli Stein damals, im Jahr 1983, für die Kollegen Rüdiger, Durm, Ginter und Co. bereitgehalten hätte? Wobei das Ballnetz ja schon vergeben ist. Blieben noch so wichtige Dinge wie der Medizinkoffer, die Wasserflaschen oder auch der Notizblock des Trainers...

Geht es um die Flaute im deutschen Sturm, werden ja ein, zwei Alternativen genannt – und auch immer wieder der Name des HSV-Torjägers Pierre-Michel Lasogga. Kürzlich sogar vom Bundestrainer persönlich. Wahrscheinlich auch deshalb, weil es nach dem Gewinn des vierten Sterns lange nicht mehr so leicht war, ins Trikot der Nationalmannschaft zu schlüpfen. Man(n) muss es nur wollen.

Das aber ist wohl der wunde Punkt dieser Geschichte. Der Wille mag vielleicht flüchtig vorhanden sein, das Fleisch aber noch viel zu schwach. Dafür steht – nicht nur, aber auch – das Beispiel Lasogga. Der Mann, der dem HSV die Erste Bundesliga erhielt (neben Jaroslav Drobny), fehlte während der gesamten Vorbereitung wegen einer hartnäckigen Verletzung. Aber: Mit Saisonbeginn am 23. August, dem 0:0 in Köln, war Pierre-Michel Lasogga wieder gesund. Nur gesund, denn fit konnte er natürlich noch nicht sein.

Lasogga spielte 90 Minuten durch, und alle nahmen den „Bomber“ danach in Schutz: „Er kommt noch, er hat noch aufzuholen.“ Selbstverständlich. Es folgten die Spiele gegen Paderborn, Hannover, München, Mönchengladbach, Frankfurt und Dortmund, und Pierre-Michel Lasogga war immer mit von der Partie, meistens volle 90 Minuten und länger, zweimal durfte er vorzeitig zum Duschen.

So richtig fit aber schien er auch beim letzten Spiel, als er das 1:0-Siegtor schoss, immer noch nicht. Was eigentlich nicht mehr an der fehlenden Vorbereitung liegen kann, denn mit sieben Spielen in den Beinen müsste dieses Manko doch jetzt beseitigt sein. Schade eigentlich, denn wäre Lasogga jetzt bei 100 Prozent, dann wäre er mit Sicherheit eine Alternative für Jogi Löw. Die Frage ist nur die, warum der HSV-Torjäger immer noch nicht bei diesen 100 Prozent ist.

Und genau da kommt mir der Name Heung Min Son in den Sinn. Bis im Sommer 2014 noch Hamburger, nun in Leverkusen vor Anker gegangen. Son kam einst als „schmaler Bubi“ zu den HSV-Profis und startete durch. Weil er voller Ehrgeiz steckte – im Duett mit seinem Papa. Vater und Sohn ackerten fast täglich in einer Eppendorfer „Muckibude“, oder beide trainierten auf einem Fußballrasen fern des Volksparks. Deshalb wurde zum Beispiel Sons linker Fuß stark und stärker – vorher hatte er ihn nur, damit er nicht umkippte. Beim HSV hat sich, das ist so Tradition, niemand darum gekümmert, dass Heung Min Son oder auch nur ansatzweise dessen linker Fuß besser wird. Zum Glück jedoch erklärte das der Vater zur Familienangelegenheit.

Wer also etwas im Fußball, und zwar im ganz großen Fußball, erreichen will, der sollte dafür arbeiten. Und zwar mehr tun als der Durchschnitt. Das gilt für jeden, der noch die ganz großen Rosinen im Sack mit sich herumträgt. Von nichts kommt nichts, heißt es im Volksmund. Oder, wie es Felix Magath einst formulierte: „Qualität kommt von Qual.“ Könnte sich noch heute so manches Talent durchaus mal auf der Zunge zergehen lassen. Gilt für Pierre-Michel Lasogga und andere, zum Beispiel auch für Dennis Diekmeier, Matthias Ostrzolek und so manches andere HSV-Talent. Weil es lange nicht mehr so leicht war, eine „tragende“ Rolle bei der Nationalmannschaft zu spielen.

Dieter Matz, HSVExperte und Blog-Vater („Matz ab“), mit seiner Freitags-Analyse

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab