Der fortgesetzte illegale Siedlungsbau und der Gazakrieg haben weltweit für einen dramatischen Meinungsumschwung gesorgt

50 Tage lang dauerte der Sommerkrieg im Gazastreifen zwischen der israelischen Armee und den Milizionären der Terrororganisation Hamas, die in Gaza-Stadt regiert. Mehr als 2100 Palästinenser starben, die meisten von ihnen Zivilisten, und mehr als 70 Israelis, überwiegend Soldaten. Die israelische Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die Entführung und Ermordung von drei jüdischen Religionsschülern durch Hamas-Mitglieder zum Auslöser für eine lange geplante Militäraktion genommen.

Der Hamas, die sich die Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben hat und die in den vergangenen Jahren mehr als 10.000 Raketen auf israelische Städte abgefeuert hat, sollte das militärische Rückgrat gebrochen werden. Das gelang jedoch auch in einer massiven Bombardierungskampagne nicht, die die vor allem mit europäischem Geld aufgebaute Stadt Gaza in ein Trümmerfeld verwandelte. Darüber hinaus sorgte der Gaza-Feldzug endgültig für einen dramatischen Meinungsumschwung vor allem in Europa zuungunsten Israels.

Da hilft es wenig, auf den Raketenhagel der Hamas hinzuweisen, der die Europäer seit Jahren nicht aufzuregen scheint. Oder darauf, dass die israelische Luftwaffe die Zivilisten in Gaza vor Angriffen warnte. Die Hamas, die ihre Raketenstellungen in Wohngebieten und neben Schulen stellte, hinderte die Menschen am Verlassen ihrer Häuser und benutzte die eigene Bevölkerung skrupellos als lebende Schutzschilde. Israel wurde angegriffen, läuft nun aber Gefahr, seine letzten Freunde zu verlieren; zugleich erhebt der Antisemitismus sein hässliches Haupt wieder. US-Präsident Barack Obama ist seit Langem erbost über Netanjahus Politik. Jetzt votierte das britische Unterhaus mit 274 zu zwölf Stimmen für eine Anerkennung eines Palästinenserstaates.

Zwar ist das Votum nicht bindend, es waren überhaupt nur die Hälfte der Abgeordneten anwesend, und Premierminister David Cameron enthielt sich. Aber die politisch-symbolische Wirkung ist erheblich, denn Großbritannien gilt als treuer Freund Israels. Der Tory-Abgeordnete Richard Ottaway sagte der „New York Times“, er habe an der Seite Israels all die Jahre „durch dick und dünn“ gestanden. Doch nun sei sein Ärger zu groß geworden. „Ich muss der Regierung Israels sagen: Wenn Sie sogar Leute wie mich verlieren, dann werden Sie sehr viele Leute verlieren.“

Anfang des Monats hatte der neue schwedische Ministerpräsident Stefan Lofven angekündigt, seine Regierung werde einen Palästinenserstaat anerkennen. Am Montag erklärte der Sprecher des französischen Außenministeriums, Romain Nadal, Frankreich werde einen Palästinenserstaat wohl anerkennen müssen. Der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, sagte Israel Radio: „Das Problem ist, dass wir massiv die öffentliche Meinung verlieren.“ Israel unterschätzt total die desaströse politische Wirkung seines völkerrechtlich illegalen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten.

Entgegen bindenden Uno-Resolutionen, ungeachtet wachsender Kritik aus den USA und Europa, folgt Netanjahu dem innenpolitischen Druck von nationalreligiösen und militanten Siedlern. Das Ergebnis dieser Politik ist verheerend für Israel; von 193 Staaten der Uno sind bereits 134 bereit, einen Palästinenserstaat anzuerkennen. Die USA, Deutschland und die meisten EU-Staaten allerdings nicht. Polen, die Slowakei, Ungarn und andere schon.

Dabei sind die Palästinenser alles andere als gerüstet, einen Staat zu betreiben. Einer der Gründe für das Scheitern der jüngsten Friedenskontakte war die gemeinsame Regierungsbildung zwischen der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, die das Westjordanland beherrscht, und der Hamas. Die Israelis sollen also mit einer Organisation über Frieden verhandeln, die ihren Tod will. Netanjahu wiederum beabsichtigt offenbar, durch die Zersiedelung der besetzten Gebiete eine Verwaltung eines Palästinenserstaates unmöglich zu machen. Mit seinem eigensüchtigen Kurs schadet er der einzigen freiheitlichen Demokratie in der Region.

Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf