Trotz des Scheiterns: Dank der G9-Initiative diskutiert Hamburg endlich über die Probleme

Die G9-Initiative ist beim Volksbegehren klar gescheitert – viel deutlicher sogar, als viele es erwartet hatten. Trotz ihres großen Engagements fehlten Mareile Kirsch und ihren Mitstreitern rund 20.000 Unterschriften zum Erfolg. Das ist, zumindest für die Schulen und die Tektonik des hamburgischen Schulsystems, am Ende vermutlich auch gut so.

Denn die Schulen wollten diese neuerliche Reform nicht, weil sie befürchteten, auf Jahre durch eine Strukturanpassung lahmgelegt zu werden, anstatt sich auf das eigentliche Ziel von besserem Unterricht konzentrieren zu können. Bei allem Verständnis für die Belastungssituation der Schüler, bei aller Berechtigung eines Bildungsanspruchs, der auch Muße erfordert: Hätte die Initiative ihre Pläne durchgesetzt, wäre es zu einer faktischen Dreiteilung der Hamburger Schullandschaft gekommen. Mit G8-Gymnasien für die ganz schnellen Schüler, G9-Gymnasien oder -Gymnasialzweige für die Anspruchsvollen, die sich aber mehr Zeit lassen wollen, und schließlich Stadtteilschulen für den – vermutlich immer kleiner werdenden – Rest.

Nein, dieses Ergebnis ist eben kein „klarer Auftrag an Senat und Bürgerschaft, G9 endlich umzusetzen“, wie Mareile Kirsch am Donnerstag wohl noch im Überschwang erklärte. Man wird ihr den Eifer im Endspurt einer langen Kampagne nachsehen. Und darf sich erinnert fühlen an den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der 2005 so stark auf den Wahlerfolg fokussiert war, dass er sich praktisch zum Wahlsieger erklärte und erst gar nicht wahrzunehmen schien, dass er seinen Platz für Angela Merkel räumen musste. Auch den G9-Aktivisten dürfte in den kommenden Tagen bewusst werden, dass sie unterm Strich verloren haben. Denn eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium hat sich in Hamburg auf absehbare Zeit politisch erledigt.

Das Verdienst der Initiative ist es, das Thema überhaupt auf die politische Agenda gehoben zu haben, nachdem es zehn Jahre lang von den jeweils Regierenden kleingeredet und vernachlässigt wurde. Mehr noch: Erst Mareile Kirsch und ihre wenigen Mitstreiter haben mit ihrer Volksinitiative den Druck erzeugt, der zu konkreten Veränderungen an den achtjährigen Gymnasien geführt hat, beispielsweise zu mehr Doppelstunden, besser abgestimmten Klausurterminen und einer Begrenzung der Hausaufgaben. Das verdient große Anerkennung.

Interessant ist das Schlaglicht, das das Ergebnis dieses Volksbegehrens auf die Unwuchten der Volksgesetzgebung wirft. Denn in allen Umfragen haben 70 bis 80 Prozent der Hamburger große Sympathie für G9 erkennen lassen. Auch an ihren Infoständen erhielt die Initiative breiten Zuspruch, wie zu beobachten war. Selbst nach Meinung ihrer Gegner lagen die Stimmen „auf der Straße“ und mussten nur noch eingesammelt werden. Das ist nicht gelungen.

So ist das Volksbegehren nicht gescheitert, weil es Einschüchterungsversuche an den Schulen gab – auch wenn das ärgerlich ist. Es ist gescheitert, weil die Initiative nicht ausreichend Aktivisten auf die Straße bringen konnte, um die Unterschriften einzusammeln. So spiegeln gerade Volksbegehren mit ihren relativ hohen Hürden oftmals eher die Kampagnenfähigkeit und Schlagkraft ihrer Initiatoren wider, als dass sie unbedingt Volkes Wille abbilden.

Auch wenn die G9-Initiative gescheitert ist: Viele Probleme des G8 bleiben. Die Politik steht nun in der Pflicht, nicht wieder wegzuschauen, wenn jetzt der Druck eines drohenden Volksentscheides weg ist, sondern ihr Versprechen einzulösen: Gymnasien pädagogisch weiterentwickeln, Unterricht besser machen und noch tragfähigere Konzepte für die Stadtteilschulen entwickeln, die mehr bieten müssen als nur ein zusätzliches neuntes Schuljahr.