Der Kompromiss im Bundesrat zum Asylrecht ist richtig. Baden-Württembergs Ministerpräsident hat Verantwortung übernommen

Wer verstehen will, warum die Grünen im selbst gewählten Stimmungstief versinken, hat am Freitag reichlich Anschauungsunterricht bekommen. Seit Monaten spitzt sich die Lage im Nahen Osten zu, Millionen Menschen sind auf der Flucht, ein Teil drängt nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhöhte seine Prognose für die Zahl der Asylbewerber zum vierten Mal in diesem Jahr – auf nunmehr 25.000 Erstantragsteller pro Monat. Die Kommunen stoßen inzwischen an ihre Grenzen, einige haben bereits ihre Erstaufnahme geschlossen. In Hamburg wenden die Behörden Polizeirecht an, um rasch Unterbringungen bereitzustellen.

Die Aufnahme von Hunderttausenden ist schwierig und teuer – doch ein Gebot der Menschlichkeit angesichts des Terrors, mit der die Steinzeitkrieger der IS den Nahen Osten überziehen. Wer helfen will, muss die Mittel und Möglichkeiten haben. Und seine Kräfte bündeln. Das Asylrecht will Menschen Schutz bieten, die politisch verfolgt werden. Es ist nachvollziehbar, dass sich Menschen vom Balkan in der Hoffnung auf ein besseres Leben gen Norden aufmachen. Es ist aber genauso verständlich, dass Deutschland zielgerichtet hilft und entscheidet, wie es seine Hilfe konzentrieren will.

Genau darum ging es am Freitag im Bundesrat. Die Große Koalition wollte Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten setzen lassen. 2013 kamen 20.000 Asylbewerber aus diesen Ländern, nur 0,3 Prozent von ihnen wurden als politisch Verfolgte anerkannt. Die Asylreform bedurfte der Zustimmung eines grün regierten Landes. Während grüne Spitzenpolitiker zuletzt flammende Reden zur Verteidigung des Grundrechts hielten, ließ sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf Verhandlungen ein – und holte viel für die Grünen heraus: Die Residenzpflicht fällt. Asylbewerber dürfen schneller arbeiten, Kommunen werden entlastet. Es ist im besten Sinne ein Sieg der Verantwortungsethik, den Kretschmann errungen hat.

Doch statt ihm Lob und Respekt zu zollen, gehen viele Grüne auf Kretschmann los: Parteichefin Simone Peter sprach von einer „falschen Entscheidung“, Claudia Roth schäumte, die Zustimmung sei „nicht verantwortungsvoll, nicht in der Sache und nicht gegenüber der Partei“. Und Volker Beck pöbelte, der Parteifreund habe das „Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt“. Sie alle reden einer Moral das Wort, die sich wenig um die Folgen dieser reinen Gesinnung schert. Eine Zuwanderungspolitik muss immer auch die Zahlen der Einwanderer im Blick behalten und das Leistbare. Deutschland kann noch mehr, das stimmt. Aber es kann nicht alles allein. Wer bis an seine Grenzen gehen will, sollte seine Grenzen kennen. Den Grünen sei Max Webers Vortrag von 1919 über Verantwortungsethik und Gesinnungsethik empfohlen.

Den darf auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) nacharbeiten. „Die Tinte, mit der dieser Kompromiss geschrieben wurde, kommt aus dem Gefrierschrank“, schimpfte er am Freitag. Starke Worte, die etwas hohl wirken angesichts der Tatsache, dass es um einen schwarz-roten Entwurf ging.

In der Einwanderungs- und Asylpolitik haben leider längst die Lautsprecher mit dem reinen Gewissen die Führung übernommen. Seit Monaten treiben radikale Gruppen in Hamburg und Berlin die Politik mit der Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge vor sich her. In den vergangenen Tagen besetzten sie die Grünen-Zentrale in Berlin und die SPD-Parteizentrale in Hamburg. Sie wähnen die Moral auf ihrer Seite, übersehen aber, dass sie in der Gesellschaft damit eher Vorbehalte gegen Flüchtlinge schüren. Deutschland kann deshalb vielen helfen, weil der Konsens zur Hilfe breit ist. Dieser Konsens ist zu wichtig, als ihn mit Radikalisierung und Überforderungen zu gefährden. Die Einwanderungspolitik ist etwas komplizierter, als sie in Flugblättern, auf Theaterbühnen oder in Kampnagel-Installationen daherkommt.

Asylpolitik benötigt Herz und Verstand. Kretschmann, aber auch Innenminister de Maizière oder Hamburgs Innensenator Neumann zeigen beides. Es ist unfair, dass diese drei ständig im Kreuzfeuer der Kritik stehen.