Die in Hamburg lebende Autorin hat Sympathien für die angestrebte Unabhängigkeit, hofft aber auf den Zusammenhalt Großbritanniens

„Ich komme aus Großbritannien“– ein Satz, der mir bisher leicht über die Lippen ging, wenn ich nach meiner Herkunft gefragt wurde. Wie soll ich vom 18. September an meine Heimat nennen? Nicht mehr Great, sondern nur „Good“ Britain? Das Un-Vereinigte Königreich? Oder, wie einige bereits mit Häme sagen: „Rumpf-Britannien“?

Viel ist seit Wochen vom Schicksal der Schotten die Rede – verständlich, es geht am Donnerstag um deren Zukunft. Aber es geht auch um die Zukunft der Briten jenseits der schottischen Grenze: um die der Engländer, Nordiren, Waliser, die mit den Schotten dieses „Große“ Britannien bilden. Was ist mit den Briten, die wie ich die Ereignisse aus der Ferne beobachten? Auch ich habe zunächst mit Bewunderung auf das schottische Bestreben reagiert, sich unabhängig zu machen. Habe ihre Chance beneidet, sich aus den Klauen einer der zentralistischsten Regierungen Europas zu befreien; selbstbewusst aus den Schatten der britischen Politik und des dominierenden Finanzdistrikts Londons zu schreiten. Habe verfolgt, wie Jugendliche, entgegen einer europaweiten politischen Apathie, ihre Stimme erheben. In Schottland dürfen 16-Jährige erstmals wählen, noch dazu bei der möglicherweise wichtigsten politischen Entscheidung ihres Lebens.

Und doch: Jetzt, Hunderte Meilen entfernt und anderthalb Jahre nach der Ankündigung der SNP, ein Referendum abzuhalten, jetzt, wo die Unabhängigkeit vor der Tür steht – fühle ich mich anders. Wenn ich mir vorstelle, am 19. September aufzuwachen und zu hören, dass die britische Union am Ende ist, dann empfinde ich eine mir selbst gegenüber unerklärliche, tiefe Traurigkeit. Ich weiß, dass ich dies nicht empfinden sollte; dass diese Entscheidung allein eine der Schotten ist. Doch nur weil es so ist, heißt es nicht, dass ich dabei nicht etwas fühlen darf.

Denn wie zahlreiche Beobachter festgestellt, wie Historiker beteuert haben und man auch als Nichtexperte an den Bildern im Print und Fernsehen erkennt: Die Debatte um Schottlands Unabhängigkeit ist von Anfang an eine emotionale gewesen.

Die Entscheidung über Schottland betrifft jeden Briten, auch die, die wie ich nicht mehr in Großbritannien leben. Wenn die Schotten für die Selbstständigkeit stimmen, wird das Königreich ein Drittel seiner Landmasse und ein Zehntel seiner Bevölkerung verlieren. Ein Teil der britischen Inseln wird offiziell zum Ausland gehören. Die Engländer werden, neben Walisern und Nordiren, 92 Prozent der übrig gebliebenen Briten bilden. Der Begriff „Britishness“, gerade hierzulande gehuldigt mit seinen Konnotationen von einer fröhlich-pompösen, majestätischen und kulturellen Zukunftsgewandtheit, wird durch eine neue Unklarheit ersetzt werden. Er wird zu groß sein für das Rumpfland, das übrig bleiben wird. Die Bezeichnung „British“, die für viele, ob „black British“, „Jewish British“ – oder auch „German British“ –, Multikulturalität und Vielfalt impliziert, wird an Strahlkraft verlieren. Die Bezeichnung „English“ hat für mich eher etwas von Inselmentalität und Engstirnigkeit.

Sollte es bei dem Referendum, wie vor zwei Jahren von Alex Salmond angekündigt, nicht um eine Unabhängigkeit gehen, bei der die britische Union eng zusammenarbeitet? Hat nicht Premier Cameron deshalb die Sache überhaupt anfangs mitgetragen? Hört man sich die Debatten der jüngsten Tage an, die Drohszenarien der Regierung Westminster auf der einen Seite sowie der Trotz und die Kampfansagen von SNP-Chef Alex Salmond auf der anderen Seite, dann ist deren einst hochgehaltene Vision einer souveränen, nach vorne gerichteten Vereinigung für das 21. Jahrhundert von einer von Bitterkeit und Rivalität bestimmten Realität zwischen den Teilstaaten ersetzt worden.

Britische Souveränität verstand sich immer als eine, die durch Gemeinschaft definiert war; basierend auf einem politischen System, das sich nicht auf eine geschriebene Verfassung verlässt, sondern sich über Jahrhunderte durch Anpassungsfähigkeit und Flexibilität ausgezeichnet hat.

Ich kann die Aufregung und Euphorie der Schotten gut verstehen, jetzt, wo die Selbstbestimmtheit greifbar nah zu sein scheint. Und doch hoffe ich, dass die Schotten diese wenig perfekte, zusammengebastelte und gleichzeitig über die Jahrhunderte funktionierende Union nicht aufgeben werden.