Deutschland muss Flüchtlingen helfen – aber zugleich auch die Zuwanderung steuern

Die Lage ist ernst. Wer die drastischen Warnungen von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) zur Unterbringung von Flüchtlingen bislang für Krisenrhetorik hielt, ist nun schlauer. Der Senat will Polizeirecht anwenden, um Raum für Asylbewerber zu schaffen. Flüchtlingsschiffe, Containerdörfer auf Festplätzen oder Parkflächen von Baumärkten – nichts ist mehr ausgeschlossen. Niemand weiß, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln werden. Der Arabische Frühling hat sich in einen barbarischen Winter verwandelt. Die Welt ist, so sagt Scheele, aus den Fugen geraten.

Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Auch wenn im laufenden Jahr 200.000 Menschen oder mehr Asyl in Deutschland beantragen sollten, wäre das nur die Hälfte dessen, was dieses Land 1992 angesichts des Bosnien-Krieges mit 438.191 Flüchtlingen gestemmt hat. Auch damals hatte sich die Zuwanderung binnen Monaten fast exponentiell entwickelt, die Städte mussten improvisieren. Im Vergleich zu damals dürfte die Aufnahme nun sogar leichter fallen als 1992: Die Konjunktur brummt, das bürgerschaftliche Engagement für Flüchtlinge ist viel größer, die Stimmung insgesamt offener. Angesichts der verstörenden Bilder aus Syrien und dem Irak, wo islamistische Steinzeitkrieger brandschatzen, vergewaltigen, morden, wird Großherzigkeit zur staatsbürgerlichen Pflicht.

Und doch müssen Politik und Gesellschaft trotz heißer Herzen kühlen Kopf bewahren. Deutschland allein wird das dramatische Problem von Armut, Unterdrückung und Verfolgung in der Welt nicht allein lösen können. Wer von offenen Grenzen fantasiert, wird am Ende nicht den Flüchtlingen helfen, sondern den Helfern in den Arm fallen. Es ist höchste Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme dessen, was nötig und möglich ist. Fakt ist: Dieses Land kann vieles leisten und wird noch mehr leisten müssen. Das Lob von Uno-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres, der Deutschland eine „führende Rolle beim Flüchtlingsschutz“ bescheinigte und als „positives Beispiel“ lobte, muss Ansporn sein. Wer aber Grenzen der Belastung anspricht, ist nicht gleich ein rechter Scharlatan. Es gibt in der Bevölkerung weitreichende Ängste, Sorgen und Vorbehalte. Damit diese nicht im Verborgenen wuchern, müssen sie angesprochen werden.

In Schweden lässt sich gerade besichtigen, was Tabus anrichten. Das Land hat seit Jahrzehnten eine sehr liberale Einwanderungspolitik und gemeinsam mit Deutschland zwei Drittel der Syrien-Flüchtlinge aufgenommen. Mit ausländerfeindlichen Slogans profilieren sich nun die rechtsradikalen Schwedendemokraten, zwingen dem Land einen Einwanderungswahlkampf auf und liegen in Umfragen schon bei neun Prozent. Man sollte sich nicht täuschen. Derlei ist auch in Deutschland möglich.

So muss es neben dem Kraftakt zur Unterbringung der Kriegsflüchtlinge auch um eine Anpassung der Asylpolitik insgesamt gehen. Die Große Koalition hat recht, Staaten wie Serbien, Bosnien und Montenegro auf die Liste sicherer Herkunftsstaaten zu setzen. Nächste Woche muss der Bundesrat zustimmen, der Ausgang ist offen. Vor der Sommerpause hatten die Grünen eine Einigung verhindert. Damit verschärfen sie das Problem, dessen Lösung sie stets einfordern.

In den Jahren 2012 und 2013 waren unter den sechs Hauptherkunftsländern Asylsuchender in Deutschland vier europäische Staaten. Das Recht auf Asyl hatten die Verfassungsväter als Schutz vor politischer Verfolgung definiert. Es ist das falsche Tor für Menschen, die sich eine bessere Zukunft in Deutschland erhoffen. So verständlich die Rufe nach maximaler Hilfe sind, so unrealistisch bleiben sie. Einwanderungspolitik funktioniert dann am besten, wenn weder Traumtänzer noch Scharfmacher die Debatte anführen. Sondern Realisten mit Herz.