Die Intervention gegen die IS-Terrormiliz in Syrien und im Irak zeigt: Die USA versinken mit ihrer Politik im Treibsand des Nahen Ostens

„In der Vergangenheit haben wir gegen al-Qaida gekämpft – und wir haben die Gegend von ihnen befreit“, sagt Scheich Ali Hatem Suleiman, ein irakischer Stammesführer aus dem Gouvernement Anbar, in dem heute die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wütet. 2006 war es der US-Marineinfanterie gelungen, 42 irakische Stämme gegen al-Qaida zu vereinen. „Doch dann übertrugen die Amerikaner die Kontrolle über den Irak an (den kürzlich zurückgetretenen schiitischen Premier Nuri al-) Maliki“, sagte der Scheich der „New York Times“. „Und der fing an, jene Stammesführer, die den Kampf gegen al-Qaida angeführt hatte, zu inhaftieren, zu töten oder ins Exil zu treiben.“

Die amerikanische Strategie, in einer „Kernkoalition“ aus zehn Staaten, zu denen auch Deutschland gehört, gegen die unvorstellbar brutalen IS-Kämpfer vorzugehen, beinhaltet eine ganze Reihe von Problemen und Risiken. Eines davon ist, dass sich die irakische Armee, die von den USA erst aufgelöst und dann wieder aufgebaut wurde, als ebenso unfähig wie unwillig erwiesen hat, IS zu vertreiben. Das liegt daran, dass der Schiit Maliki die Sunniten des Landes, die einst die Elite und das Offizierskorps unter dem Despoten Saddam Hussein stellten, systematisch ausgegrenzt und drangsaliert hat. Viele sunnitische Offiziere, darunter erfahrene Generäle, liefen zum IS über. Als Schwert gegen den IS bewaffnet der Westen nun die Kurden der Peschmerga, die sich als einzige widerstandsfähige Truppe erwiesen haben. Das schafft neue Probleme: Wie die britische Zeitung „Independent“ berichtete, flohen irakische Sunniten aus 127 Dörfern, die von Kurden im Schutz der US-Luftangriffe zurückerobert worden waren. In einem Dorf sprühten die Kurden die Worte „kurdisches Heim“ auf ein Haus.

Das Streben der Kurden nach einem eigenen Staat – und dies womöglich mit den neuen westlichen Waffen und zulasten des Irak, der Türkei und Syriens – hängt wie ein weiteres Damoklesschwert über dem Konflikt. Nach einem Sieg über den IS könnten neue kurdisch-türkische sowie kurdisch-irakische Auseinandersetzungen drohen. Problematisch ist auch die nun bekannt gewordene enge Kooperation der Kurden mit der CIA, die in der mittelöstlichen Region nicht sehr beliebt ist. Masrour Barsani, Chef des kurdischen Geheimdienstes, enthüllte kürzlich, dass die Rückeroberung des Mossul-Staudamms gelang, indem die Kurden Koordinaten der IS-Stellungen an ein amerikanisch-kurdisches Operationszentrum in Erbil weitergaben. Dann schlug die US-Luftwaffe zu. Auch Spezialeinheiten der US-Streitkräfte und der CIA sollen im Einsatz sein. Die Reste der im syrischen Bürgerkrieg zusammengebrochenen Freien Syrischen Armee (FSA), die gegen das Regime von Staatschef Baschar al-Assad kämpft, werden inzwischen von der CIA geführt, wie FSA-Militärchef General Abdul-Illah al-Bashir sagte. 14 Kommandeure in Nordsyrien und 60 kleinere Gruppen im Süden unterständen direkt der CIA, schrieb der „Independent“. Damit kämpfen die USA weiter gegen Assad. Andererseits werden sie in Syrien mit der Luftwaffe eingreifen müssen, um den IS wirksam bekämpfen zu können – de facto kämpfen sie damit aufseiten des Regimes, das sie stürzen wollen.

Politik im Nahen Osten bewegt sich auf Treibsand. Die USA sind aus dem Irak abgezogen und nun zurück. Sie haben einst den Iran gegen die Araber aufgerüstet, dann den Irak gegen den Iran, die Türkei gegen Irak und Iran und bewaffnen nun Teile Iraks und Syriens für eine Art arabischen Bürgerkrieg. Und die sunnitische Türkei, mit Assad verfeindet, hatte erst die Grenzen für Tausende sunnitische Dschihadisten geöffnet. Ankara erhoffte sich davon auch einen größeren Einfluss nach dessen Sturz. Nun aber soll sich die Türkei auf Verlangen der USA frontal gegen den IS stellen und die Grenzen gegen Dschihadisten schützen – was ohne politischen Gesichtsverlust kaum möglich ist. Obendrein sind Ankara die Hände gebunden – noch immer befinden sich 49 türkische Diplomaten des vom IS gestürmten Konsulats in Mossul samt Angehörigen in der Hand der Extremisten.