Moderne Ästhetik und innovative Funktion müssen sich nicht ausschließen. Vorausgesetzt, man versteht sie

Die „Suite“ in der Bungalow-Reihe war schick und geräumig, alles in Grau-, Beige- und Weißtönen mit einem Fußboden aus kerngeräucherter Eiche. An den Wänden handsignierte Porträtskizzen, im Bad weiße Handtücher auf einer schwarz gebeizten Leiter. Ich freute mich auf die Terrasse mit Meerblick und versuchte mich an der großen Glasschiebetür. Es gibt nicht allzu viele Türverriegelungen, die sich den Gesetzen der Logik entziehen. Diese schon.

Als ich etwa fünfzehn Minuten lang erfolglos Tasten, Riegel und Griffe bewegt hatte, klopfte eine junge Frau mit einem Designerteller: Käse, luftgetrockneter Schinken und Trauben, eine Aufmerksamkeit des Hauses. Ich fragte sie, wie man wohl die Schiebetür öffnet. „No idea“, sagte sie, drückte einen kleinen Schieber nach oben, machte „ts, ts“ und ging dann wieder. Mit dem Obst-Designermesser drückte ich testhalber einen anderen Schieber nach unten, worauf sich die Tür endlich öffnete.

Was soll’s, dachte ich noch, das ist doch toll hier, man kann auf Pressereisen wirklich schlechtere Unterkünfte erwischen. Da rief übers Haustelefon der Kollege Heinz zwei Türen weiter an: Ob ich die Lichtanlage verstünde? Zwei geschmackvolle Schalter im Messingdesign regelten die Lichtquellen im Eingangs- und im Wohnbereich, auch vom Bett aus ließ sich alles ein- und ausschalten – bis auf die interessante Beleuchtung unter dem Bett. Der Lichtdesigner, der sich das ausdachte, hat vermutlich zu viele Monsterfilme gesehen. Ich fragte Heinz, ob die Schinkenfrau schon bei ihm war. „Nein, aber Ulf“, sagte Heinz. „Der stand plötzlich gestikulierend auf meiner Terrasse, weil er mir was mit der Terrassentür zeigen wollte, und hatte sich ausgeschlossen.“

Sogenannte Designer- oder Boutique-Hotels wenden sich an ein „design- und lifestyleverliebtes Publikum“, heißt es in einem Reisemagazin. Die Einrichtung soll elegant und funktional sein und etwas fürs Auge bieten. Dabei schießen manche Einrichter übers Ziel hinaus: Die Basisfunktionen – Licht, Wasser, Türen – sind auf eine elegante, lifestylige Art verschlüsselt. Für solche Fälle gibt es eigentlich Reisejournalisten, eine hartgesottene Bande, ähnlich wie Kriegsreporter, die abends in tropischen Bars hocken und sich gegenseitig Heldengeschichten erzählen. Reisejournalisten sind ja quasi auch an der Front: Um andere zu informieren, setzen sie sich probehalber Herausforderungen wie glitschige Pools, fremde Küche oder überraschende Kakerlakenangriffe aus. Dass auch irritierende Lichtschaltkreise dazugehören, hätte ich nicht vermutet.

Inzwischen hatte ich in der Schreibablage einen Fön mit Dreipol-Stecker entdeckt und suchte nach einer passenden Steckdose. In Nähe des Badezimmerspiegels gab es leider keine. Nach heftigem Googlen auf dem Smartphone fragte ich den Operator am Hoteltelefon nach dem „power outlet for a three-pole-plug“. „Maybe somewhere in the room?“, schlug er vor. Genau, du Schlaumeier. Erst die Kollegin Ulrike entdeckte die Steckdose an einem Ort, wo kein Mensch föhnt: unter der Fernsehkonsole. Zum Abendessen trafen wir uns leicht erschöpft mit wirren Haaren und tauschten Survival-Geschichten aus.

Die meisten Menschen sind in ihren Alltagsgewohnheiten old-school-orientiert. Sie föhnen im Bad, wollen einfache Riegel bedienen und suchen Dinge da, wo sie gebraucht werden. Designer denken anders: Weißflächen sollen nicht von Steckdosen, Toskana-Kacheln nicht von Handtuchhaltern, raffinierte „Moon-Dragon“-Nachttischleuchten nicht von Knipsern verunziert werden.

Die Folge: In hoch ästhetisch gestalteten Räumen fühlt sich der Gast eingeschüchtert und doof wie Brot, weil er plötzlich an harmlosen Verrichtungen wie dem Öffnen und Schließen, An- und Ausschalten scheitert.

Nur redet keiner gern darüber. Ulrike gab am nächsten Tag verschämt grinsend zu, sie habe wegen des Anti-Monster-Lichts ihre Schlafmaske getragen. Ich selbst las bei feenhafter Komplettbeleuchtung noch ein bisschen in meinem Gute-Nacht-Krimi und legte dann den Hauptschalter um. Damit war zwar auch die Minibar ohne Strom. Aber es war wenigstens dunkel.