Die Notenbanker können nichts mehr tun. Jetzt muss die Politik die Dauerkrise abwenden

Früher war alles viel besser. Wer kennt ihn nicht, diesen Satz? Meist ausgesprochen von älteren Menschen, die an die angeblich gute alte Zeit erinnern wollen. Auch Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), dürfte diesen Satz schon häufiger vor sich hin gemurmelt haben. Denn früher funktionierten die Instrumente der Notenbanker noch so, wie es Millionen Volkswirtschaftsstudenten in den überfüllten Hörsälen der Universitäten gelernt hatten.

Zum Beispiel die Sache mit den Zinsen: Die EZB senkt die Zinsen, für die sich Geschäftsbanken bei ihr Geld leihen. Die Banken und Sparkassen geben den Zinsvorteil an ihre Kunden weiter. Die Geschäftskunden fragen wegen der niedrigen Zinsen mehr Kredite nach, investieren das geliehene Geld unter anderem in Maschinen und Ideen. Die Unternehmen produzieren mehr – und schaffen neue Arbeitsplätze. Die Wirtschaft wächst, die Beschäftigten haben mehr Geld im Portemonnaie, konsumieren kräftig, weshalb auch die Preise steigen. Es war einmal …

Denn seit einigen Jahren funktioniert diese in die Praxis übertragene Lehrbuch-Theorie nicht mehr. Die EZB hat die Zinsen für die Geschäftsbanken fast auf Null gesenkt, den Markt mit billigem Geld überschwemmt – und was ist passiert? Gefühlt nichts! Möglicherweise liefe die Konjunktur in der Euro-Zone noch schleppender, und die Deflationsängste in einigen Euro-Ländern wären noch größer, hätte die EZB weniger rigoros reagiert. Doch Tatsache ist: Die Euro-Zone lahmt und fürchtet sich zumindest in Teilen vor dauerhaft sinkenden Preisen mit gravierenden Folgen. Für das zweite Quartal vermeldeten die Statistiker am Freitag bereits Stagnation. Im Klartext: Die Wirtschaft in der Euro-Zone wächst nicht mehr. Und die Inflationsrate nähert sich ebenfalls der Null. Eine verheerende Entwicklung. Denn sollten die Konsumenten auf weiter sinkende Preise setzen, würden sie ihre Investitionen wie den Kauf von Autos oder Möbeln zurückstellen – und abwarten. Die Unternehmen würden weniger Produkte verkaufen, es käme zum Abbau von Arbeitsplätzen. Ein ökonomischer Teufelskreis wäre in Gang gesetzt.

So weit ist es noch nicht. Aber die Gefahr ist real, auch wenn viele Politiker weiter an den Theorien aus den Lehrbüchern von früher hängen. Die Realität hat die Theorie längst überholt. Die Notenbanker haben ihre Möglichkeiten ausgeschöpft. Jetzt sind die Regierungen in der Euro-Zone gefragt. Von Berlin über Paris bis Madrid wird viel zu viel über die Vergangenheit geredet. Über die Finanzkrise und wie man sie gebändigt hat. Über die Banken und ihre Fehler. Über die sicherlich weiterhin gebotene Konsolidierung der Staatshaushalte. Doch um die Probleme der Gegenwart zu lösen und die Zukunft erfolgreich zu gestalten, bedarf es mehr als Sparmaßnahmen und neuer Regeln für den Finanzmarkt.

Europa muss eine Wachstumsoffensive von historischem Ausmaß starten. Es müssen Investitionen getätigt werden, welche die europäische Wirtschaft im weltweiten Wettbewerb nach vorne katapultieren. Es muss endlich Schluss sein mit dem Denken in regionalen oder bestenfalls nationalen Grenzen. Das jahrelange Warten auf die längst überfällige Elbvertiefung, die marode Infrastruktur in und um Hamburg sind nur zwei Beispiele aus der Region, die zeigen, was auf dem alten Kontinent schiefläuft. Der Seehafen Hamburg und seine Zufahrtswege sind kein lokales, sondern ein europäisches Projekt. Dieses ständige Verzögern und Vertagen gepaart mit kontraproduktivem Konkurrenzdenken gefährdet Europa und seinen Wohlstand. Die EZB allein kann Europas Wirtschaft nicht vor der drohenden Dauer-Stagnation bewahren. Dafür bedarf es sehr viel mehr als Zinsen nahe der Nulllinie.