Die Terrormiliz IS gefährdet nicht nur den Nahen Osten, sondern die ganze Welt. Auch aktuell ist die Gefahr groß - gerade wenn europäische Extremisten aus Syrien oder dem Irak in ihre Heimatländer zurückkehren.

Knapp 25 Jahre ist es her, da fiel die Berliner Mauer. Mit ihr war der Kalte Krieg vorbei, der die Menschheit mehrfach an den Rand der Auslöschung geführt hatte. Ein seltener Optimismus machte sich breit, bei den Völkern und in Politik und Wissenschaft. Der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama formulierte sogar die These, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sich die Lehren von Liberalismus, Demokratie und Marktwirtschaft weltweit durchsetzen würden.

Ein Vierteljahrhundert später ist man endgültig schlauer – und ernüchtert. Der Siegeszug der Mittelalterkrieger Islamischer Staat im Irak und Syrien verschiebt in einem atemberaubenden Tempo die Wahrnehmung der Welt und ihre oft holzschnittartige Einteilung in „Gut“ und „Böse“. Die kurdische PKK etwa galt bis vor Kurzem als verabscheuungswürdige Terrorgruppe und rettete nun die verfolgten Jesiden aus den irakischen Bergen vor dem Völkermord. Der syrische Ministerpräsident Assad galt bis vor Kurzem als blutrünstiger Diktator und ist inzwischen fast ein Verbündeter im Kampf gegen die Islamisten. Selbst die Mullahs im Iran wirken angesichts des wilden Mordens der IS-Terrormilizen wie gemäßigte Herrscher und werden zu einer Option, den Vormarsch der Irren zu stoppen.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat mit seiner Warnung vom Freitag mehr als recht: IS ist mehr als eine Terrorgruppe, sie ist hoch entwickelt und so gut finanziert wie keine andere. Allerdings gehört zu der historischen Wahrheit, dass die Vereinigten Staaten eine Mitverantwortung für das Desaster haben: Der Krieg des naiven US-Präsidenten George W. Bush hat den Diktator Saddam Hussein beseitigt, aber im Irak ein Vakuum hinterlassen – und Unmengen von Kriegsgerät, dessen sich die „Gotteskrieger“ bei ihrem Vormarsch bemächtigt haben. Der vermeintliche Anti-Terror-Krieg der „Koalition der Willigen“ hat die „Achse des Bösen“ nicht beseitigt, sondern das Böse befördert. Erschwerend kommt hinzu, dass an die Stelle „gehegter Kriege“, auf regulierte Weise mit Truppen geführter Konflikte zwischen Nationen, archaische Auseinandersetzungen getreten sind. Brutalität etwa ist beim IS Kalkül, die Verletzung aller Normen Programm. Ein Krieg gegen den Irak war leicht zu gewinnen, der Krieg gegen den IS wird ungleich schwerer zu führen sein. Das gilt auch für Europa, das noch mit einer Mischung aus Naivität, Leichtsinn und Distanz dem tödlichen Treiben in Syrien und Irak zusieht. Der weit verbreitete sympathische Pazifismus etwa der Deutschen ist aus der Geschichte verständlich, für die Zukunft aber ziemlich gefährlich. Ex-Außenminister Joschka Fischer brachte es bereits auf den Punkt: „Eine Terrororganisation wie IS, die Menschen grausam ermordet und Frauen unterdrückt, kann man weder mit Gebetskreisen noch mit Spruchbändern stoppen.“

Der Krieg ist längst näher gerückt, als uns lieb sein kann: Der Irak und Syrien grenzen an den Nato-Partner Türkei und sind nur eine kurze Flugreise entfernt. Hunderte von desintegrierten Jugendlichen haben sich aus Europa aufgemacht, um für die Mittelalterkrieger im Nahen Osten zu kämpfen. Was ist, wenn sie zurückkehren? Tausende haben noch vor wenigen Wochen wütend auf Europas Straßen gegen den Gaza-Krieg der Israelis protestiert. Wo sind sie jetzt, wenn es um den Terror des IS gegen Moslems, Christen oder Jesiden geht?

Der Kampf gegen die Islamisten wird nicht einfach zu gewinnen sein und nicht allein mit Luftangriffen und Waffenlieferungen. Er wird nur erfolgreich sein, wenn er die Köpfe, Hirne und Herzen von Christen, Atheisten und Moslems gleichzeitig erreicht.

Die Geschichte ist leider nicht vorbei, diese fängt gerade erst an.