Leserecho: Deutsch macht Spaß, wenn es nur richtig verpackt ist. Der Genitiv erholt sich, aber inzwischen kränkelt der Dativ ein wenig

Ich habe noch nie so viele Mails bekommen wie nach meinem Postskriptum unter der Kolumne vor einer Woche, in dem ich darauf hinwies, dass die „Deutschstunde“ die 100. Folge erreicht hatte. Die 100. Folge bedeutet natürlich nicht das Ende der Reihe. Sie lesen gerade die 101. Folge. Es ist immer schön für einen Autor zu erfahren, dass sein Text angekommen ist und Interesse geweckt hat. Deutsch kann offenbar Spaß machen, wenn man es nur richtig verpackt.

Unter diesen Umständen habe ich mich entschlossen, weiterhin sogar Fragen zu beantworten, die eigentlich jeder durch einen kurzen Blick in den Duden selbst beantworten könnte. Ich muss allerdings einschränken, dass ich nicht die Absicht habe, die Duden-Redaktion wegen einer Schreibweise vor das Bundesverfassungsgericht zu zerren. Auch ich würde lieber „so dass, mit Hilfe, in Frage“ oder „auf Grund“ schreiben, auch mir kräuseln sich die Fingernägel beim Tippen der Duden-Empfehlungen sodass, mithilfe, infrage oder aufgrund, aber um eine Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung zu erreichen, sollten wir uns an die Empfehlungen eines Wörterbuchs halten, das überall verfügbar ist.

Nach der Rechtschreibreform 1998 und der Reform der Reform im Jahre 2006 gibt es viele fakultative Schreibweisen, also Schreibweisen, die so oder so richtig sind. Damit der eine Kollege aber nicht so und die Kollegin in der Spalte daneben anders schreibt, markiert der Duden eine von beiden gelb als seine Empfehlung.

Diese Empfehlung würfelt die Duden-Redaktion in ihrem neuen Berliner Domizil natürlich nicht in einer Cappuccino-Pause aus, sondern sie richtet sich nach dem vorherrschenden Gebrauch in den Medien. Ich kann die Frage einer Schreibwerkstatt südlich der Elbe, ob es enganliegend oder eng anliegend heißt, nur so beantworten: Das können Sie halten, wie Sie wollen, aber der Duden empfiehlt Getrenntschreibung: ein eng anliegendes Kleid.

Überhaupt reicht die Grundform eines Wortes oder einer Fügung häufig nicht aus, um die Schreibweise festzulegen. Dazu benötigen wir den Kontext, weil sich die Rechtschreibung mit dem Sinn des Satzes ändern kann. Frage: Ist „rot sehen“ richtig geschrieben? Hm, ja, wohl nicht. Die Schreibweise rot sehen wäre nur richtig, wenn jemand eine rote Sonnenbrille auf der Nase hätte und er seine Umgebung nun rot sieht. Falls jedoch ein Fußballer, der gerade seinem Gegenspieler in den Nacken gebissen hat (Das hat’s gegeben!), Rot sieht, so sieht er eine Rote Karte, die sachlich zu einem Gegenstand und grammatisch zu einem Substantiv geworden ist, und Substantive schreibt man bekanntlich groß. Es kann allerdings sein, dass der Spieler danach rotsieht, nämlich Amok läuft und dem Schiedsrichter zwischen die Beine tritt (Auch das hat’s gegeben!). In diesem Fall ist „rot“ zu einem Präfix (Vorsilbe) und das Verb zu einem Wort verkürzt worden, während die Sperre des Sünders sich auf wenigstens zehn Pflichtspiele verlängert haben dürfte.

Viele Leser sorgen sich um den Genitiv. Seitdem Bastian Sick den Alarmruf verbreitet hat, der Dativ sei „dem Genitiv sein Tod“, scheinen sich überall sprachliche Naturschutzbünde zur Rettung des Genitivs gebildet zu haben, so eine Art Grammatik-Nabus. Auch der Titel meiner ersten „Deutschstunde“ lautete ironisch „Wir gedenken dem Genitiv“. Inzwischen sorge ich mich allerdings mehr um den Dativ, wenn ich immer wieder „gegenüber des Rathauses“ und „nahe des Bahnhofs“ lese und in den Nachrichten höre.

Meine Erklärung am vergangenen Dienstag, dass man absolute Adjektive wie tot, blind oder leer nicht steigern könne, erinnerte unseren Leser Karl-Heinz H. an seine Schulzeit. „Karl-Heinz, steigere leer“, verlangte der Deutschlehrer. „Leer kann man nicht steigern, denn von leer spricht man nur, wenn in einem Behälter absolut nichts mehr drin ist!“ Der Lehrer wurde rot vor Zorn: „Grammatisch kann man das steigern, und das verlange ich jetzt von dir!“ Darauf der Schüler: „Leer, Lehrer, Oberlehrer!“ Die Klasse brüllte vor Lachen, der Lehrer brüllte ebenfalls. „Das ist eine Fünf!“, schrie er. „Nein, das ist eine Sechs, nein, das reicht noch immer nicht: Das ist eine Sieben!“

Wie gesagt: Deutsch macht Spaß, wenn man sich dabei den Humor nicht verderben lässt.