Bei der Nationalhymne bekommen einige Spieler den Mund nicht auf. Das „Lied der Deutschen“ wurde in Hamburg uraufgeführt.

Was soll man in einer Sprachkolumne schreiben an einem Tag, an dem die Luft schwarz-rot-gold gefärbt ist und an dem angesichts der Begeisterung über den deutschen WM-Sieg jede Beschäftigung mit Grammatik und Rechtschreibung als kleinlich und philisterhaft erscheinen müsste?

Soll ich nach dem vierten Stern der Fußball-Nationalmannschaft denjenigen unter den 35 Millionen Menschen an den heimischen Fernsehgeräten, die nicht so firm im Sportjargon sind, erklären, dass eine falsche Neun kein Betrug beim Kartenspiel ist und dass es nichts mit den Arbeitsbedingungen in einem Großraumbüro zu tun hat, wenn auf dem Rasen die Räume eng gemacht werden?

Soll ich mich über Lothar Matthäus aufregen, der es immer wieder schafft, in seinen Sätzen ohne Punkt und Luftholen die Vergleichspartikel „wie“ und „als“ zu verwechseln?

Was soll’s! Lothar Matthäus war ein begnadeter Fußballer. Fußballer müssen mit dem Ball umgehen können, nicht unbedingt mit der Sprache (wenn sie sich dann auch nicht als Sky-Kommentator verdingen sollten). Manchmal ist ohnehin diejenige Formulierung am wirkungsvollsten, die nicht formuliert wird. Die größte Tageszeitung, der wir in der Vergangenheit so einmalige Schlagzeilen wie „Der Mond ist jetzt ein Ami“ oder „Wir sind Papst“ verdanken, erschien am Mittwoch nach dem Debakel Brasiliens mit der ganzseitigen Aufmachung: „7:1 – Ohne Worte“.

Ich habe als fast 73-Jähriger am Sonntagabend die achte Übertragung eines WM-Endspiels mit deutscher Beteiligung verfolgt. Zwischen 1954 und 2014 hat sich nicht nur technisch, sondern auch sprachlich einiges verändert. Während Herbert Zimmermanns Reportage aus Bern klang wie Attacke und Angriff, langweilte Tom Bartels uns am Sonntag nach Götzes Tor mit Nebensächlichkeiten über weithin unbekannte Jugendtrainer im Ruhrgebiet. Herbert Zimmermann war Reporter des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), und seine Rundfunkreportage vom Endspiel 1954, die man heute meistens den spärlichen Fernsehbildern von damals unterlegt, hat viel zur Wirkung und Verbreitung des „Wunders von Bern“ beigetragen.

Während Rahn oder Kohlmeyer früher kaum einen geraden Satz herausbrachten, sind die aktuellen Nationalspieler ausgesprochen eloquent – beim Reden. Beim Singen klappt es nicht so gut. Vielleicht soll es auch gar nicht klappen, wenn Spieler mit Migrationshintergrund wie Mesut Özil (geboren in Gelsenkirchen) oder Jérôme Boateng (geboren in Berlin) bei der Nationalhymne den Mund nicht aufbekommen. Es ist üblich, vor Länderspielen die Nationalhymnen zu spielen. Wer gesehen hat, mit welcher Entschlossenheit und Inbrunst die brasilianischen Auflaufkinder ihre Hymne schmettern, wünscht sich ein wenig mehr Begeisterung für die deutsche Hymne.

Das „Deutschlandlied“, besonders seine erste Strophe („von der Maas bis an die Memel“), galt nach den beiden Weltkriegen als historisch belastet. Für das diplomatische Protokoll wurde jedoch eine offizielle Hymne benötigt. Kanzler Konrad Adenauer empfand es als peinlich, dass bei einem Fußball-Länderspiel gegen Belgien in Köln nach der belgischen Hymne der Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ gespielt und dass er selbst bei einem Staatsbesuch in Chicago mit „Heidewitzka, Herr Kapitän“ empfangen wurde. Also setzte er bei Bundespräsident Theodor Heuss durch, dass bei offiziellen Anlässen wieder das „Deutschlandlied“ gespielt, aber nur die dritte Strophe („Einigkeit und Recht und Freiheit“) gesungen wird.

Auf dem Jungfernstieg vor Streit’s Hotel war das „Lied der Deutschen“ am 5. Oktober 1841 uraufgeführt worden. Mitglieder der Hamburger Turnerschaft von 1816 und der Liedertafel von 1823 brachten einem Hotelgast ein Ständchen. Eine Kapelle des Bürgermilitärs begleitete die Sänger.

Als Melodie wählte sie die Kaiserhymne aus einem Streichquartett von Joseph Haydn („Gott erhalte Franz den Kaiser“). Den Text hatte August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), der anwesend war, wenige Wochen zuvor, am 26. August 1841, auf der damals englischen Insel Helgoland in tiefer Sehnsucht nach der deutschen Einheit geschrieben.

Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch“- Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags