Bundesgerichtshof verhindert die Einführung einer Helmpflicht durch die Hintertür

Es hätte der Anfang vom Ende des Hamburger Rad-Aufschwungs werden können: Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht aus dem vergangenen Jahr hatte Fassungslosigkeit und Unverständnis ausgelöst – hatte es doch einer Radlerin, die unverschuldet zu Fall gebracht wurde, eine 20-prozentige Mitschuld an dem Unfall gegeben. Ein verständiger Mensch, so die Richter, werde zur Vermeidung eigenen Schadens Helm tragen.

Nicht zu Unrecht fürchteten viele die Einführung einer Helmpflicht durch die Hintertür. Nun hat der Bundesgerichtshof das Urteil kassiert. Karlsruhe sei Dank. Der Richterspruch mag die Versicherungswirtschaft ärgern, wird aber die große Mehrheit der Radler freuen. Denn 89 Prozent fahren oben ohne.

Nun ist der Helm zweifelsohne eine gute Erfindung: Er kann vor schweren Kopfverletzungen schützen und macht damit das Radfahren etwas weniger gefährlich. Aber nur Freunde exzessiver Gesetzgebung und staatlicher Bevormundung werden sich wünschen, dass sich auch hier die Politik mit einem Gebot einschaltet. Man sollte die Freiheit des Einzelnen gegen öffentliche Interventionen verteidigen.

Unumstritten ist, dass eine Helmpflicht, das zeigen Erfahrungen aus Australien, die Zahl der Radler deutlich senkt. Viele wollen mit kühlem Kopf, aber ohne Hartschale radeln. Es gibt viele Gelegenheiten, wo kein Helm zur Hand ist: Das Hamburger StadtRad-System beispielsweise – das erfolgreichste seiner Art in Deutschland – hätte im Falle einer Helmpflicht ausgedient, weil man kaum für alle Kopfgrößen unterschiedliche Helme mitverleihen kann.

Dabei haben gerade die roten Räder die Hansestadt zum Besseren verändert: An 130 Stationen bringen sie Farbe ins Stadtbild, machen Hamburg mobil und den Weg frei für eine umweltfreundliche Bewegung. Im vergangenen Jahr wurde in der Hansestadt 2,5 Millionen Mal ein Rad ent- und damit dem Radverkehr Rückenwind verliehen. Bis zu 12.168 Fahrten täglich haben bei Bürgern und Politik das Problembewusstsein geschärft und Veränderungsdruck erzeugt.

Natürlich bleiben viele Fahrradwege der Stadt in einem beklagenswerten Zustand – viele sind nur handtuchbreit, einige kraterübersät, andere verlieren sich im Nichts oder auf einer vierspurigen Straße. Aber es wäre gegenüber Politik und Behörden unfair, die Verbesserungen zu übersehen. Es tut sich endlich etwas in der Stadt, ob bei Velorouten oder dem Radwegebau.

Vor allem aber tut sich etwas in den Köpfen der Hamburger: Die Sternfahrt am vergangenen Sonntag lockte eine Rekordzahl an Teilnehmern. Critical Mass, die monatliche Demonstration für Gleichberechtigung im Asphaltdschungel, bringt regelmäßig Tausende auf die Straße. Und bei der Abendblatt-Umfrage in den vergangenen Wochen sprachen sich rund 72 Prozent der Leser für „massive Investitionen ins Radwegenetz“ aus.

Eine Helmpflicht, quasi am Gesetzgeber vorbei durch ein Oberlandesgericht initiiert, hätte diese Entwicklung massiv behindert. Schon die Idee einer Mitschuld begann die Debatte zu beeinflussen. Helmlos galt plötzlich als verantwortungs-, wenn nicht kopflos.

Zudem konterkariert eine Helmpflicht das Grundgesetz der Verkehrspolitik – das fordert Rücksichtnahme gerade gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern. Allerdings sei an dieser Stelle erinnert, dass Radfahrer sie nicht nur von Autofahrern einfordern, sondern sie gegenüber Fußgängern auch leben sollten.

Hilfreicher als ein Helmgebot wäre eine Verkehrspolitik, die Radfahren sicherer macht – beispielsweise durch deutlich erkennbare Streifen auf dem Asphalt, durch die Einführung von Fahrrad- oder Gemeinschaftsstraßen und zusätzliche Velorouten. Verkehrspolitik muss sich in den Köpfen verändern, nicht auf ihnen.