Tausche Kamerun gegen Holland ... und gerne auch van der Vaart gegen Messi. Warum Panini-Fußballbilder jetzt vor der Weltmeisterschaft wieder zur Sucht werden

Die Euro-Krise dürfte bald Geschichte sein – zumindest in Italien. Denn die Finanztransfers aus Brustbeuteln und Sparschweinen überall in Europa nach Modena in der Poebene haben beträchtliche Ausmaße angenommen. Wenn Sie noch nicht wissen, wovon ich schreibe, dürfen Sie sich glücklich schätzen. Dann sind Sie weder selbst vom Sammelfieber erfasst, noch haben Sie Infizierte in der Familie. Seit Wochen sind die Panini-Klebebildchen mit Fußballstars der WM in Brasilien allgegenwärtig – an der Kasse im Zeitungsladen, auf Schulhöfen, ja selbst im Hamburger Miniatur Wunderland.

Ein Entkommen ist unmöglich. Alle pädagogischen Versuche, die Sammelleidenschaft auf kostenlose Klebebildchen, Sticker oder Karten umzuleiten, sind zum Scheitern verurteilt. Es sammelt nicht nur fast jeder Junge, sondern in Zeiten grassierender Infantilisierung auch grob geschätzt jeder zweite erwachsene Fußballfan. Grauhaarige Skatbrüder tauschen in der Kneipe vor Ramsch und Bock Ramos gegen Boateng, intellektuelle Welterklärer in der Bibliothek Boëtius gegen Dante.

Schuhketten locken zu Panini-Tauschbörsen, und bei Radio Hamburg kann man jeden Mittwoch und Sonnabend politisch korrekt Kamerun gegen Holland tauschen, Müller gegen Özil wechseln – und, HSV-Fans aufgemerkt, van der Vaart durch Messi ersetzen.

Besonders perfide ist, wie die Jungs angefixt werden: zum Mc-Menü gab’s eine Tüte dazu, auch mal zur Sportzeitschrift und im Supermarkt – ein Discounter spendierte zu jedem Einkauf einen Gratisbeutel. Dort brach mein Widerstand wie ein Deich bei der Jahrhundertflut: Zunächst steckte die freundliche Kassiererin meinem Sohn eine Tüte zu und legte im Angesicht des glückseligen Lächelns gleich noch eine zweite obendrauf. Daraufhin versprachen weitere Kunden ihm ihre Bildchen: Neben Milch und Butter hatten wir plötzlich mehrere Panini-Packungen im Einkaufsnetz. Ein großer Spaß für den Sohn, ein teurer für den Vater.

Denn die Tüten dürften eine größere Gewinnmarge haben als Kaffeekapseln oder Apple-Rechner. Fünf EC-Karten große Klebebilder kosten stolze 60 Cent. Das Sammelalbum auf billigem Papier, international und vielsprachig für die Vermarktung auf der ganzen Welt, noch einmal 2 Euro extra. Mit jedem Sammeltag, mit jeder weiteren Tüte wird der Spaß teurer. Schuld daran ist die Mathematik. Unter den ersten 100 Bildern darf der Sammler noch 93 neue erwarten, bei den nächsten 100 sinkt die Zahl der neuen auf 80, dann auf 67, 58 und so weiter. Die Wahrscheinlichkeit, ein neues Bild zu ergattern, nimmt immer weiter ab, die Doppelten türmen sich. Das Internet ist voll von Berechnungen, wie viele Tüten theoretisch fällig sind, um das Album zu füllen: Nach der mathematischen harmonischen Reihe sind 901 Tüten notwendig oder über 540 Euro.

In der Finanzkrise endete meine erste Sammelwut als Zehnjähriger: Damals hatte ich das Panini-Bundesligaheft tatsächlich vollbekommen – damals gab es sechs Bilder für 20 Pfennig. Überschlagen kostete mich der Spaß mehr als 60 D-Mark – als ich zwei Jahre später das volle Heft auf den Flohmarkt trug, erbrachte es 50 Pfennig. Ein Verlust von 99,2 Prozent. Da schimpfe noch einer auf den Neuen Markt!

Wucher wird es, wenn es ans Nachbestellen geht: So schön das Angebot – man erinnere noch einmal an die harmonische Reihe – auch klingt, vor allem ist es teuer. 18 Cent soll das Pfennig-Produkt kosten, und bei den Versandgebühren wird es dann richtig happig. Mit der normalen Post muss man vier Wochen warten, also trudeln die letzten Bilder vermutlich erst ein, wenn Jogis Jungs längst wieder zu Hause sind. Für die Eilzustellung werden 10 Euro extra fällig. Schade, dass man weder Panini heißt, noch die Idee hatte.

Eigentlich hätten wir Hamburger darauf kommen können: Die Mutter aller Sticker waren die Zigarettenbilder – gerade die alten Reemtsma-Sammelalben aus Bahrenfeld waren legendär. Damals konnte man noch Bilder von Wolf und Elch ins Album „Tiere unserer Heimat“ kleben, die „Malerei der Gotik und Frührenaissance“ sammeln – oder die Olympischen Spiele von 1932 und 1936. Es gab sogar entartete Sammelalben wie „Adolf Hitler“, „Deutschland erwacht“ oder „Raubstaat England“.

Dann doch lieber Panini-Bilder.

Matthias Iken beleuchtet in seiner Kolumne jeden Montag Hamburg und die Welt