Bundespräsident Gauck hält eine große Rede zur Integration – mit einigen Zumutungen

Joachim Gauck hat viele kluge Reden gehalten – diese war eine seiner klügsten. Bei der Feier zur Einbürgerung gelang es dem Bundespräsidenten, Einwanderung einerseits als große Bereicherung darzustellen, andererseits aber auch die Probleme von Migration zu benennen. Es war keine so oft gehörte Rede eines politisch korrekten Sowohl-als-auch, sondern eine Lehrstunde für „Alt-Deutsche“ und „Neu-Deutsche“ zugleich, für Bürger der Mehrheitsgesellschaft wie für Einwanderer. Geschickt entreißt Gauck das Thema den Radikalen, die so gerne diese Debatte für sich instrumentalisieren: den Ausländerfeinden, die Vorurteile und Hass schüren, aber auch den Predigern offener Grenzen, die mitunter nur ihren Selbsthass in der Überhöhung des Fremden leben.

Gaucks Rede hat etwas wohltuend Wohltemperiertes – so werden selbst umstrittene Wahrheiten und Zumutungen akzeptabel. Kein halbwegs vernünftiger Deutscher wird heute noch infrage stellen, dass dieses Land Einwanderung benötigt – wegen seiner empörend niedrigen Geburtenrate, wegen des Fachkräftemangels in der Wirtschaft, wegen des für eine offene Gesellschaft so notwendigen Austauschs. Auch dürfte inzwischen selbst xenophoben Mitbürgern dämmern, welche Bereicherung Migration bedeuten kann: Im Kino bejubeln sieben Millionen „Fack ju Göhte“ von Bora Dagtekin (Deutscher mit türkischen Wurzeln) mit Elyas M’Barek (Österreicher mit tunesischen Wurzeln); der Preis der Leipziger Buchmesse ging an Saša Stanišić (Sohn einer Bosnierin und eines Serben), der Literaturnobelpreis 2009 an die Banater Schwäbin Herta Müller. Bei der Fußball-WM tragen Spieler wie Özil, Khedira, Podolski und Klose den deutschen Adler. Wo stünde dieses Land eigentlich ohne diese Einwanderer?

Aber es gibt auch die andere Seite abseits von Fußballfesten und Kinokomödien – Gauck blendet sie nicht aus. Es gibt Probleme bei der Integration von Einwanderergruppen, es gibt kriminelle Clans, es gibt radikale Fundamentalisten, es gibt gerade unter Zuwanderern eine verbreitete Frauen- und Schwulenfeindlichkeit. Hier geht es um eine kleine Minderheit in der Minderheit. Doch wer diese Probleme verschweigt, verdrängt, schönredet, schadet allen Migranten. Im Verborgenen wuchern die Vorurteile am üppigsten.

Gauck fordert eine Wir-Gesellschaft, die Rassismus von rechts genauso wenig toleriert wie den Fanatismus der Fundamentalisten: „Null Toleranz gegenüber jenen, die unseren gemeinsamen Grund der Verfassung verlassen“, sagt Gauck. Das darf uns beim nächsten ausländerfeindlichen Spruch oder am Salafisten-Büchertisch ruhig wieder einfallen.

Die beschworene „Wir-Gesellschaft“ kann nur gemeinsam gelingen – und mutet allen etwas zu. Wir Deutschen dürfen Migranten nicht auf Aussehen, Namen, ihr vermeintliches Fremdsein reduzieren – das grenzt aus. Toleranz bedeutet, Anderssein auszuhalten. Zugleich müssen Einwanderer bereit zur Integration sein – über die deutsche Sprache und das deutsche Grundgesetz muss nicht mehr gestritten werden, sie sind eine Grundvoraussetzung. Integrieren kann indes nur eine Gesellschaft, die sich selbst wertschätzt: Nur wer das Eigene achtet, wird dem anderen Raum geben, so hat es Gauck genannt. Man könnte auch sagen: Wer möchte schon Mitglied eines Vereins werden, der sich selber ablehnt?

Joachim Gauck gibt der Debatte neue, kluge Impulse – wie es vor ihm Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz gemacht hat. Seine Idee, Einwanderer direkt zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft einzuladen, war eine kleine Geste mit großer Wirkung – sie war im besten Wortsinn integrativ. Integration ist aber keine exklusive Aufgabe der Politik. Den klugen Worten seines Präsidenten muss das Volk jetzt Taten folgen lassen.