Hamburg bringt Flüchtlinge im feinen Harvestehude unter – zu Recht

Das Statistische Landesamt ist immer wieder eine Fundgrube, wenn es gilt, ein Klischee zu bedienen. Zum Beispiel das des reichen Harvestehude. Gerade mal 3,2 Prozent der 16.706 Einwohner kassieren Arbeitslosenunterstützung, genauso viele Bewohner leben von Hartz IV. Das Durchschnittseinkommen beträgt knapp 89.000 Euro im Jahr, 2446 Euro kostet ein Quadratmeter Baugrund, für Eigentumswohnungen werden pro Quadratmeter mehr als 6000 Euro gezahlt, und während in Hamburg jede zehnte Wohnung eine Sozialwohnung ist, ist es in Harvestehude jede 100. Sind diese Zahlen nicht wunderbare Argumente, in schönster Alsterlage Flüchtlinge unterzubringen? Gute Argumente, von einem wohlhabenden Quartier seinen Solidarbeitrag einzufordern, den Stadtteile wie Bergstedt oder Niendorf längst leisten? Es klingt nach Häme, zumindest nach ein bisschen Genugtuung, wenn Hamburger, die abseits von Harvestehude leben, diese Zahlen bemühen, wenn sie von der dort geplanten Flüchtlingsunterkunft für 220 Personen sprechen oder wenn der zuständige Bezirksamtsleiter bei einer öffentlichen Veranstaltung betont, er betreibe hier keine „Reichenbelehrung“. Aber für Häme oder Genugtuung hat dieses Thema genauso wenig Platz wie für Tabus.

Hamburg steht angesichts der weltweiten Flüchtlingsströme vor der wirklich großen Herausforderung, von Jahr zu Jahr mehr Asylsuchende unterbringen zu müssen. So ist die Zahl der Neuankömmlinge im vergangenen Jahr um 50 Prozent auf 3619 gestiegen, in diesem Jahr werden 4600 Männer, Frauen und Kinder erwartet, die die Sehnsucht nach einem besseren Leben nach Hamburg treibt. Die Stadt ist in der Pflicht, diesen Menschen eine würdevolle Unterkunft zu bieten. Doch geeignete leer stehende Gebäude gibt es kaum, auch werden Flächen, um Zelt- oder Containersiedlungen aufzubauen, durch das Wohnungsbauprogramm zunehmend knapp. Es kann also keine Tabus bei der Suche nach Unterkünften geben.

Ortswechsel. In einem der schönsten Neubauviertel der Stadt, der eher hochpreisigen Wohnanlage Quartier 21 in Barmbek, kommt es seit Monaten zu Straftaten. Mal wird eine Wohnung aufgebrochen, mal ein Auto. Diebe stehlen Fahrräder oder räumen ganze Keller leer. In einer Zuschrift an diese Zeitung zu diesem Thema ist die Rede von einem „unangenehmen Nebeneffekt der auseinanderdriftenden Einkommensschere“. Auch hier scheint Häme mitzuklingen. Doch die verbietet sich im einen wie im anderen Fall. Spaltet sich Hamburg in Arm und Reich? Driften ganze Viertel auseinander in solche mit ständig steigender Bedürftigkeit und solche mit ständig wachsendem Reichtum? Offensichtlich schon, die Spaltung der Gesellschaft spiegelt sich immer klarer in den Hamburger Stadtteilen. Und in den allermeisten von ihnen dürfte der Trend auch kaum noch umkehrbar sein, trotz der besten Wohnungsbauprogramme.

Auch deshalb wäre es ein Fehler, würden wohlhabende Stadtteile befreit, einen Teil der sozialen Last zu tragen, nur weil deren Bewohner clevere Anwälte beschäftigen, sich wahrnehmbar artikulieren können und glauben, „Flüchtlinge fühlten sich hier doch gar nicht wohl“, wie es jetzt hieß. Welcher Stadtteil wäre besser geeignet für ein Sozialprojekt als der mit keinen oder zumindest verschwindend geringen Problemen? Zum Glück scheinen das auch viele Anwohner der Flüchtlingsunterkunft – mit rund 20 Millionen Euro sicher eine der teuersten in Deutschland – so zu sehen. Nicht nur die Gegner des Projekts, deren Sorgen vor Veränderungen in ihrem Quartier ernst genommen werden müssen, melden sich in Harvestehude zu Wort, sondern auch die sonst eher Stillen und Leisen, die Hilfe anbieten und sich persönlich für die neuen Nachbarn auf Zeit engagieren wollen. Das macht Hoffnung.