Onkel Hottes Nichtgedanken - Das Trash-TV und sein Scharfrichter. Warum das deutsche Fernsehen einen wie Oliver Kalkofe zwingend erforderlich macht

Tele 5 ist ein Sender, den ich einschalte, wenn auf anderen Kanälen nur noch Kochsendungen oder Extremsportler laufen und ich für jeglichen Anspruch zu müde bin. Das Programmschema von Tele 5 entlastet mein Gehirn mit alten „Star Trek“- und „Stargate“-Folgen, Wrestling, Soaps und Actionfilmen der 1970er und 1980er. Und mit Oliver Kalkofe, der in der großen bunten Flimmerkiste alles vergackeiert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Der „Hohepriester des Trash-TV“ („Spiegel Online“) feierte jetzt sein 20. Fernsehjubiläum.

Astro-TV-Moderatorinnen, die gerade irgendeinen Geist „channeln“, unbeholfene Bettenverkäufer in Dauerwerbesendungen, die schlechtesten Filme aller Zeiten – bei „Kalkofes Mattscheibe rekalked“ kriegen alle ihr Fett weg. Durchaus zu Recht.

Wer braucht eigentlich einen „Tierübersetzer“ auf dem Handy? „Eine App für alle, die ihrem Meerschweinchen intellektuell unterlegen sind“, erklärt Kalkofe. Dann verulkt er einen faltigen Schlagersänger, der auf einer Gaststättenbühne als Cowboy auf einem Pferd sitzt und von den Maschinen des weißen Mannes singt (das Pferd wurde vorher wahrscheinlich sediert): „Ich trage die alten Zähne von Fury auf.“

Als Nächstes wird das gemüt-seierige „Poesiealbum“ im Deutschen Musikfernsehen (kennt das jemand?) gnadenlos niedergemacht, und wenn Kalkofe mit der Wurstwerbung für Rügenwalders „Pommersche“ fertig ist, lässt man die Leberwurst ein paar Wochen lang garantiert im Regal.

Den meisten ist er wahrscheinlich erst durch die Edgar-Wallace-Parodiefilme „Der Wixxer“ und „Neues vom Wixxer“ im Kino bekannt geworden, in denen Kalkofe in schlecht sitzendem Trenchcoat den begriffsstutzigen Chief Inspector Even Longer spielt und Bastian Pastewka seinen ungeschickten Helfer. Seit März 2013 liest Kalkofe in „Nichtgedanken“ spät auf Tele 5 auch todernst aus den Autobiografien von B- bis M-Prominenten vor, unter ihnen Bushido, Bettina Wulff oder Pornokönigin Gina Wild. Je mehr sich Stefan Raab auf eigene Formate wie Wok-WM oder „Schlag den Raab“ konzentrierte, desto größer wurde die Lücke im Bereich Fernsehkritik, und Kalkofe grätschte genüsslich hinein. Mit Erfolg. 1996 bekam er für seine Mattscheibe den Grimme-Preis, 2014 war er nominiert für „Nichtgedanken“.

Das ist eine Karriere, die ihm erst mal jemand nachmachen muss. Vielleicht erinnern sich einige, wie es begann: mit dem „Frühstyxradio“ auf ffn (1988 bis 1996), in dem Kalkofe neben Sabine Bulthaup und Dietmar Wischmeyer in zahlreichen Rollen die Niedersachsen veralberte. Etwa als „Günter der Treckerfahrer“ oder in der Stammtischparodie „Die Arschkrampen“ und vor allem als „Onkel Hotte“: Hornbrille, Hut, Doppelrippunterhemd und Plüschpantoffeln, der Märchen zum Besten gab, die man seinen Kindern bestimmt nicht vorlesen würde. Onkel Hotte erinnert an Landwirte, denen man manchmal noch in der Feldmark bei Vechta in ihrem alten Mercedes 190 Diesel begegnet.

Damals zerfransten die Geschmäcker, und „Frühstyxradio“ prägte eine ganze Comedy-Generation. Aus heutiger Sicht wirken die Moderatoren wie „dauerbekokste Fröhlichroboter mit eingemeißeltem Grinsen“, sagt Kalkofe selbst. Bei den Loriot-verwöhnten Öffentlich-Rechtlichen hätte jemand wie er nie unterkommen können. Aber die Privaten – zuerst der Bezahlsender Premiere – ließen ihn zu seinem eigenen Erstaunen einfach machen, „die haben das tatsächlich gesendet“, sagte er in einem Interview.

In Tele 5 dominieren noch die Filme mit vorsintflutlich animierten Raubsauriern oder Anakondas, die ahnungslose Leute in Freizeitkleidung überraschen. Die Frauen haben Farrah-Fawcett-Windstoßfrisuren und tragen Hotpants und fallen beim Flüchten immer hin. Die Männer retten sie dann oder rufen mal eben schnell die US Marines.

Mit der Werbung für Telefonsex und Sex-Apps treibt der Sender dann allerdings die letzten Zuschauer zum Zähneputzen. Die gruseligen Nischen unseres Programmangebots lassen einen Kalkinator wie Kalkofe eben nicht nur zu, sie machen ihn geradezu zwingend erforderlich.

Irene Jung schreibt an dieser Stelle jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag