Viele Wortzusammensetzungen benötigen ein Fugen-s, um zusammenzuwachsen. Nur die Steuerbehörden benötigen es nicht

Das Interesse an der deutschen Sprache scheint weitaus größer zu sein, als immer wieder vermutet oder befürchtet wird, wie die Fülle von Stellungnahmen, Anregungen und Fragen zu den Folgen meiner „Deutschstunde“ zeigt. Eine der häufigsten, aber auch am schwierigsten in eine Regel zu fassenden Fragen ist dabei die Frage nach dem kleinen Buchstaben -s-, der irgendwo in der Mitte eines Wortes entdeckt wird. Er steht in der Fuge zwischen den Bestandteilen eines Kompositums (Wortzusammensetzung) und wird deshalb das Fugen-s genannt.

Ein Leser beklagt, dass „überall im Sprachgebrauch und Schriftverkehr“ das -s- nach dem Erstglied „Schaf-“ „sein Unwesen“ treibe. Nun, Schafe trifft man immer seltener an, dafür das Fugen-s umso häufiger. Doch ausgerechnet beim Schaf und bei ähnlich kurzen Bestimmungswörtern ist es unsicher, ob ein Fugen-s gesetzt werden muss. Bei der Schaf[s]milch, dem Schaf[s]kopf, dem Schaf[s]pelz, der Schaf[s]kälte oder dem Schaf[s]käse sind beide Formen möglich und richtig, während der Schafstall nur ohne und das Schafskleid, mit dem der böse Wolf sich getarnt hat, nur mit einem Fugen-s korrekt ist.

Am besten, Sie sprechen die Zusammensetzungen einmal laut aus und wählen die Form, die Ihnen beim Formulieren weniger Schwierigkeiten bereitet. Der Schafstall spricht sich deutlich leichter aus als der „Schaf-s-stall“. Leider lässt sich die Wortbildung nicht medizinisch mit den Erkenntnissen der Logopädie (Sprachheilkunde) lösen, wollen wir nicht auf mehr Ausnahmen als Treffer stoßen. Selbst die Analogie des gleichen Erstgliedes kann nicht immer herangezogen werden, da aus dem Rindfleisch im Topf die Rind-s-roulade und aus dem Kalbfleisch im Ofen der Kalb-s-braten wird. Man sollte vermuten, dass ähnlich wie beim Schafstall auch das „Kalbsteak“ ohne Fugen-s leichter auszusprechen wäre. Aus unerfindlichen Gründen heißt es aber Kalb-s-steak.

Eindeutiger ist die Situation, wenn das Kompositum aus mehr als zwei Gliedern oder Silben besteht. Ein Leser aus Norderstedt entdeckte im Servicebereich seiner Sparkasse den Schriftzug Kontoauszug-s-drucker. Diese Schreibweise ist jedoch korrekt. Bei so langen Wörtern braucht unsere Zunge irgendwann eine Pause oder ein Fugenzeichen, um sich neu zu positionieren und den Rest des Kompositums anzukoppeln. Das können wir häufiger beobachten. Aus dem Hoftor wird das Friedhof-s-tor, aus dem Werkzeug das Handwerk-s-zeug, aus der Nachtstunde die Mitternacht-s-stunde, aus der Sichtweise die Ansicht-s-weise und aus den Leibschmerzen die Unterleib-s-schmerzen.

Wie im Maurerhandwerk aus jahrhundertelanger Erfahrung der Mörtel in einer festen Fuge zwischen zwei Mauersteinen richtig angemischt werden muss, so gibt es auch in der Sprachwissenschaft im Hinblick auf die s-Fuge einige Erfahrungswerte.

Steht als Erstglied eines Kompositums ein substantivierter Infinitiv, so wird das -s- gesetzt: Schlafen-s-zeit, sehen-s-wert. Auch Erstglieder mit den Ableitungssuffixen -tum, -heit, -ion, -tät, -ung usw. haben im Allgemeinen ein Fugenzeichen: Altertum-s-kunde, Schönheit-s-königin, sensation-s-lüstern, Fakultät-s-statistik oder hoffnung-s-voll.

Kein Fugen-s ist bei femininen Erstgliedern angebracht, die einsilbig sind oder auf -e enden: Nachtwächter, Jagdhund, Wärmeleiter, säurefest. Auch feminine Erstglieder auf -ur und -ik bleiben s-los: Kulturfilm, Musiklehre. Schwache Maskulina als Erstglied haben kein -s-, sondern ein -[e]n- als Fugenzeichen: Bär-en-tatze, Held-en-mut, Student-en-heim. Erstglieder auf -er und -el stehen ebenfalls meistens ohne Fugen-s: Bäckerladen, Marterpfahl, Pendeluhr. Ausnahmen sind hier nur altertümliche Bildungen wie Wander-s-mann oder Henker-s-mahlzeit.

Da die Behörden uns mehr nehmen als geben, haben sie auch bei Komposita mit dem Zweitglied -steuer das Fugen-s amtlich eingezogen, zum Beispiel bei der Einkommensteuer und bei unzähligen anderen Steuerarten, die sich, wenn auch fugenlos, ständig vermehren. Daneben sind allerdings auch s-Formen (Einkommen-s-steuer) üblich und berechtigt, wie Sie privat auch den Schadenersatz zum Schaden-s-ersatz machen sollten.

Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags