Man kann jedes Werk in viele Stilfiguren zerlegen. Ellipse, Parabel und Hyperbel sind Kegelschnitte, aber auch Begriffe der Rhetorik

Wenn ich das richtig verstanden habe (ich hoffe nicht), wird in Hamburg beim Abitur im Fach Mathematik die Lösung bei der Aufgabenstellung gleich mitgeliefert und ansonsten nicht der Schüler oder die Schülerin, sondern der Taschenrechner geprüft. Ich weiß auch nicht, ob dem Hamburger Nachwuchs dabei Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln zugemutet werden. Zu meiner Schulzeit begegneten uns diese Figuren als Kegelschnitte im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig eines Gymnasiums im Bundesland Schleswig-Holstein, und zwar in jenen Jahren, als der Taschenrechner noch gar nicht erfunden worden war.

Als ich mich als stud. phil. an der Christiana Albertina zu Kiel hatte einschreiben lassen, holten mich Ellipse, Hyperbel und Parabel wieder ein, jedoch nicht mehr als Kegelschnitte, sondern als Stilfiguren im Proseminar der Literaturwissenschaft. Manch Lehrbeauftragter schaffte es, jedes Gedicht von Goethe und Eichendorff oder eine Novelle von Kleist so sehr in kleinste rhetorische Einheiten zu zerlegen und griechischen Fachbegriffen zuzuordnen, dass der Gehalt der Dichtung nicht mehr zu erkennen war. Man kann ein Werk auch kaputt interpretieren.

Allerdings benutzen wir Ellipsen täglich beim Reden und Schreiben, ohne wissen zu müssen, dass der Begriff etwas mit dem „Mangel“ zu tun hat. Der Ellipse mangelt es an Vollständigkeit, weil im Satzgefüge einige Wörter oder Satzteile weggelassen werden, die der Hörer oder Leser aber ohne Schwierigkeiten aus dem Zusammenhang ergänzen kann: Er trinkt Wein, sie [trinkt] Mineralwasser. Oder: Als er das Licht einschaltete und [als er] sich umblickte. Bei der Parabel handelt es sich um eine bestimmte Form der Gleichniserzählung, die häufig mit erhobenem Zeigefinger lehrhaft allgemeine moralische Wahrheiten vermitteln soll. Spielt die Parabel im Tierreich, nennen wir sie eine Fabel. Am bekanntesten dürfte die „Ringparabel“ aus Lessings „Nathan der Weise“ sein (1779), die so sehr mit dem Toleranzgedanken der Aufklärung aufgeladen ist, dass ihr Scheitern in der Praxis bis zum heutigen Tage immer wieder offenbar wird.

Nun zur Hyperbel (griech. „das Darüber-hinaus-Werfen“), die in der Stilkunde eine bewusste Übertreibung des Ausdrucks bezeichnet, etwa mutterseelenallein, mausetot, stockfinster, himmelhoch ragende Häuser oder Menschen wie Sand am Meer. Das Gegenteil der Hyperbel ist in der Rhetorik (Redekunst) die Litotes (griech. „Zurückhaltung im Ausdruck“), die durch eine doppelte Verneinung oder durch die Verneinung des Gegensatzes die Aussage deutlich zurücknimmt: Er war nicht der schlechteste Lehrer [ein guter]; das ist nicht unwahrscheinlich [ziemlich wahrscheinlich]; nicht ohne Talent [hat Talent]. Von der Litotes ist es nicht weit bis zur Ironie, bei der der Spott der Rede dadurch unterstrichen wird, dass das Gesagte das Gegenteil des Gemeinten darstellt: Uli Hoeneß ist ein braver Steuerzahler [hat mehr als 30 Millionen Euro hinterzogen].

An dieser Stelle nur noch ein Fachbegriff der Stilkunde, damit mir die Leser nicht abspringen wie Markus Lanz die Zuschauer, nämlich das Eponym (griech. „seinen Namen woher habend“). Unter einem Eponym versteht man einen Eigennamen als eigenständigen Begriff oder als Gattungsbezeichnung wie den Zeppelin für das Luftschiff. Die bekanntesten Eponyme sind wohl der Duden (Rechtschreibung), benannt nach Konrad Duden, und der Knigge (Umgangsformen) von Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge. Der alte Herr Knigge war übrigens so begeistert von der Französischen Revolution, dass er das „von“ ablegte, dann aber ernüchtert von der Entwicklung, weshalb er den „Freiherrn“ behielt. Damit kokettieren seine Nachfahren am Deister noch heute.

John Montagu, 4. Earl of Sandwich, ließ sich 1762 während eines langen Kartenspiels sein Essen zwischen zwei Weißbrotscheiben legen, und Edward Stanley, 12. Earl of Derby, veranstaltete 1780 das erste Zuchtrennen für dreijährige Vollblüter. Heute versteht man unter einem Derby häufig ein Fußballspiel zwischen zwei benachbarten Vereinen. Ein solches Lokalderby werden die Hamburger in der kommenden Saison besuchen können, nämlich das zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli in der Zweiten Bundesliga.