Wissenschaftler warnen vor einem großflächigen Zusammenbruch. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen in der Geschichte.

Die weltweit schwelende Finanz- und Wirtschaftskrise, die wachsende Weltbevölkerung, der sich abzeichnende globale Kampf um Ressourcen sowie politische Spannungen in vielen Teilen der Welt – akute Krisen und Konflikte veranlassen Forscher immer wieder, vor einem Kollaps ganzer Zivilisationen zu warnen. Zu den umtriebigsten Mahnern gehören die US-Wissenschaftler Paul Ehrlich, Professor an der US-Eliteuniversität Stanford, und seine Frau Anne, die dort in führender Position als Evolutionsbiologin arbeitet.

Beide halten den Kollaps der menschlichen Zivilisation aufgrund der sich zuspitzenden Klimaveränderungen, der Überbevölkerung und der Erschöpfung und Vergiftung der Meere für wahrscheinlich. Hungersnöte, Epidemien und Rohstoffverknappung würden zu einem „schrittweisen Zusammenbruch“ der zentralen Kontrolle innerhalb zahlreicher Staaten führen, meinen die Ehrlichs und verweisen darauf, dass bereits jetzt rund zwei Milliarden Menschen auf der Welt an Hunger litten. „Wenn alle Menschen so leben würden wie die US-Bürger“, schrieben die Forscher 2013 in einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society“ – dann wären dafür „vier oder fünf Welten notwendig“. Und gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ meinte Paul Ehrlich im Oktober 2011, die Chance, dass die westliche Zivilisation dieses Jahrhundert überstehe, liege bei nur noch zehn Prozent.

Der ebenfalls in Stanford lebende britische Althistoriker und Archäologe Ian Morris vertritt aufgrund des weltpolitischen Spannungspotenzials sogar die Auffassung, die kommenden 40 Jahre könnten die gefährlichsten der gesamten Weltgeschichte werden.

Wie die Internetplattform „Neopresse“ schrieb, hatte bereits 2010 ein Bündnis von Institutionen und Wissenschaftlern aus 141 Staaten davor gewarnt, dass „das kontinuierliche Funktionieren des uns bekannten Systems Erde gefährdet ist“, und erklärt, die Lage sei „absolut verzweifelt“. Und schon 2005 hatte der US-Evolutionsbiologe, Mediziner und Geograf Jared Diamond, Professor in Kalifornien, in seinem Buch „Kollaps“ fünf Faktoren für einen derartigen Zusammenbruch dargelegt: 1. Missmanagement zentraler Ressourcen wie Wasser, Böden, Wald und Fischgründe, 2. Klimaveränderungen, 3. externe Feinde, 4. Wegfall von Handelspartnern sowie 5. fehlerhafte Reaktion der Gesellschaft auf ihre Probleme.

Zumindest die Punkte 1, 2 und 5 sind bereits gegeben, die anderen könnten hinzukommen. Diamond hat dazu zahlreiche Zusammenbrüche von Zivilisationen untersucht – wie den Untergang der Mayakultur, der Anasazi-Indianer in Nordamerika, der Wikinger in Grönland und andere. Interessant als Beziehungspunkt für solche Thesen ist jedoch auch die Phase des „Dunklen Zeitalters“, vor allem des „bronzezeitlichen Kollapses“ zwischen 1206 und 1150 vor Christus. Damals brachen urplötzlich die kulturell hochstehenden mykenischen Königreiche in Griechenland zusammen, praktisch zeitgleich mit dem Imperium der Hethiter in der heutigen Türkei und Syrien sowie dem Neuen Reich in Ägypten.

Handelsrouten verdorrten, großartige Städte wie Hattusa, Mykene und Ugarit wurden in verheerenden Kriegen zerstört. Es kam zu sozialen Unruhen und Migrationsbewegungen; die kulturelle Entwicklung stagnierte. Der frühere Professor für Geschichte an der Vanderbilt-Universität in Tennessee, Robert Drews, nannte diesen großflächigen Kollaps, dessen Folgen vier Jahrhunderte lang zu spüren waren, „das schlimmste Desaster in der alten Geschichte; katastrophaler als der Zusammenbruch des Römischen Reiches“.

Zu den vermutlichen Ursachen zählten: Klimaveränderungen und landwirtschaftliches wie politisches Missmanagement, lokale Überbevölkerung mit Migrationsdruck sowie eine in sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht immer komplexer gewordene Welt, der die alten Eliten einfach nicht mehr gewachsen waren. Diese Phänomene dürften uns bekannt vorkommen. Damit ist keineswegs gesagt, dass die Krisen der Gegenwart zwangsläufig zu einem Kollaps führen müssen. Moderne westliche Gesellschaften haben sich bislang nämlich als erstaunlich stabil erwiesen. Doch der Blick auf die Geschichte kann immerhin helfen, Gefahren besser wahrzunehmen.

Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf