Die offene Gewalt gegen die Polizei muss zu einem Umdenken in der Gesellschaft führen

Eine lebendige Szene in der Stadt, das haben auch die Tourismusforscher längst erkannt, ist für die Außenwerbung enorm wichtig: Selbst Touristen, die dann bei einem Besuch gar nicht mit diesen Menschen oder Gegenden in Kontakt kommen, fühlen sich von diesem „spannenden Image“ angezogen. Im Idealfall ist diese „kreative Klasse“, die zu Recht häufig dem politisch eher linken Spektrum zugeordnet wird, auch der Motor für Entwicklungen. Jahrelang profitierte auch Hamburg von dem einen wie von dem anderen. Die Hansestadt ohne Ottensen, Schanzenviertel und St. Pauli wäre Wiesbaden ähnlicher als London; eine Metropole der Gemütlichkeit ohne auch mal provokanten Widerstreit der Interessen und Überzeugungen, das ist vielleicht über die Feiertage ganz schön, wäre aber schnell einschläfernd und abschreckend.

Doch was Hamburg in den vergangenen Jahren und vor allem in den vergangenen Wochen erlebte, hat mit „spannender Stadt“ und „kreativer Klasse“ nichts mehr zu tun. Überdenkenswerte Impulse, wie sie zuletzt vielleicht die Initiative „Recht auf Stadt“ noch einbrachte, sind sehr rar gesät. Zu beobachten war stattdessen zunächst eine Phase der intellektuellen Stagnation, dann eine Rückkehr in Lagerdenken und schließlich die Radikalisierung von Gedanken und Taten, die wie zuletzt vor der Roten Flora oder an der Davidwache alle Grenzen überschreiten, die sich auch die äußerste Linke nach den deutschen Terrorjahren der RAF selbst gezogen hat.

Der sehr große Rest der Gesellschaft blickt erschrocken auf diese Entwicklung und muss sich inklusive ihrer politischen Vertreter und der Medien doch auch selbst fragen lassen, wie es dazu kommen konnte. Nehmen wir die Krawalle im Schanzenviertel, die sich in vielen Jahren nach einem Flohmarkt im Sommer dort entwickelten: Beinahe ritualisiert wurde das Aufflackern der Gewalt zur Kenntnis genommen, es wurden die Verletzten auf beiden Seiten gezählt und die ewig gleichen Worthülsen der Beteiligten abgegeben. Fast schien es, als würde es sich hier nicht um strafbare kriminelle Handlungen gegen Sachen und auch Personen handeln, sondern um einen gesamtgesellschaftlichen Folkloretanz, der allen Seiten zur Selbstbestätigung dient. Dass normale Partygäste auf der Schanze das Geschehen mit einem Gin Tonic in der Hand wie aus der Zuschauerloge betrachteten oder komplett unpolitische Jugendliche nur wegen der Auseinandersetzung mit der Polizei anreisten, passte nur zu gut ins Bild.

Oder nehmen wir die Attacken mit Farbbeuteln gegen die Wohnhäuser von Politikern und das gezielte Abfackeln von Autos einzelner exponierter Vertreter der Gesellschaft: Dabei kommen zwar keine Personen an Leib und Leben direkt zu Schaden – und deswegen wird dann für die Tätergruppen auch gern das verniedlichende Wort der „linken Aktivisten“ gebraucht –, aber ein Angriff auf die persönliche Integrität eines Menschen ist es abgesehen von dem materiellen Schaden dennoch. Sollte man nicht hier schon sensibler sein und das nicht einfach als beinahe normalen Akt der Willensäußerung irgendwie hinnehmen, weil das eben heute zu einer Großstadt dazugehört?

Spätestens seit den direkten Angriffen auf einzelne Polizeibeamte, die aufgrund ihrer Vorgehensweise als Tötungsversuch gesehen werden sollten, ist es an der Zeit, die Trennlinien wieder deutlicher zu markieren. Nicht alles ist Ausdruck einer lebendigen, offenen Gesellschaft, vieles hingegen ist schlicht kriminell und sollte nicht einfach unter den Tisch fallen. Im Internet, zum Beispiel bei Facebook, haben sich in den vergangenen Tagen spontan Tausende Menschen auf die Seite der Polizei gestellt. Jetzt ist es an der Zeit, dass dies auch im realen Leben sichtbar wird, sonst stehen wir vermutlich erst am Anfang einer unheilvollen Entwicklung.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des Hamburger Abendblatts