Unsere Zivilisation hat sich langsam über Jahrtausende entwickelt – doch seit einigen Jahrzehnten überstürzen sich die Ereignisse.

Die Meldung, dass der Internetversender Amazon Drohnen als Paketboten teste, rief zunächst einige Heiterkeit hervor. Auch die Deutsche Post beeilte sich, Testdrohnen vorzustellen. Man sollte sich davor hüten, derartige Entwicklungen vorschnell in die Schubladen Kuriosum und Rohrkrepierer abzulegen. Spektakuläre Fehlprognosen gibt es schon genug. Kaiser Wilhelm II. hielt das Auto für eine „vorübergehende Entwicklung“. Thomas Watson, Chef von IBM, sagte 1943, es gebe weltweit „einen Markt für vielleicht fünf Computer“. Kino-Zar Darryl F. Zanuck meinte 1946, das Fernsehen werde sich nicht durchsetzen, die Menschen würden bald müde, „jeden Abend auf eine Sperrholzkiste zu starren“.

In den vergangenen Tagen meldete der Suchmaschinen-Gigant Google den Kauf einer weiteren Roboterfirma – bereits der siebten. Das jüngst erworbene Unternehmen Boston Dynamics entwickelt vor allem Roboter für das Pentagon. Wie „BigDog“, ein vierbeiniger Lastesel, der Material und Waffen über jedes Terrain transportieren kann. Wie „WildCat“ und „Cheetah“, die schneller sprinten können als Usain Bolt, oder wie die humanoiden Modelle „Petman“ und „Atlas“, die offenbar Entwicklungsstufen für Kampfroboter sind. Es zeichnen sich Zukunftsszenarien ab, die wir bislang nur aus Science-Fiction-Filmen kennen: Roboter mit künstlicher Intelligenz, die ihre Dienste in Krieg und Frieden leisten. Dies würde dann auch dazu führen, dass sich Menschen und Roboter auf dem Schlachtfeld gegenübertreten. Autonome Kampfdrohnen, die derzeit entwickelt werden, sind nur der erste Schritt.

Die rasante Veränderung unserer Lebenswelt, die sich in den vergangenen 30 Jahren enorm beschleunigt hat, wird zweifellos einmal zu den großen Umwälzungen und evolutionären Prozessen der Menschheitsgeschichte gezählt werden. Derzeit geht es uns wie dem Frosch im Brunnen, dem der rechte Überblick über das Ganze fehlt. Und niemand weiß, ob die explosionsartige Entwicklung der IT-Technik, der Miniaturisierung und der Robotics am Ende ein Segen oder ein entsetzlicher Fluch für die Menschheit sein werden. Das Problem ist unter anderem die ungeheure Geschwindigkeit, mit der sich Veränderungen heute vollziehen, die den Menschen durchaus überfordern kann. Wenn man sich ansieht, wie sich die wichtigsten evolutionären Veränderungen in der Zivilisationsgeschichte vollzogen, dann wird deutlich, dass der Mensch früher sehr viel mehr Zeit hatte, sich darauf einzustellen.

Seit mehr als zwei Millionen Jahren gibt es die Gattung Homo, seit rund 170.000 Jahren den Homo sapiens, der sich seitdem aber noch weiterentwickelt hat. Die bedeutendste Entwicklung war natürlich zunächst die Sprachfähigkeit, die vor 35.000 Jahren einen schon kommunikativ brauchbaren Stand erreicht hatte. Solange der Mensch noch als Wildbeuter umherzog, war die Ausbildung einer Hochkultur nicht möglich. Als er jedoch auf Mutationen von Gräsern aufmerksam wurde, bei denen die nahrhaften Körner lange am Stängel blieben, anstatt zu Boden zu fallen, wurde vor rund 11.000 Jahren die Landwirtschaft möglich. Diese „neolithische Revolution“ führte zu Sesshaftigkeit, zum Bau fester Siedlungen und in der Folge zur Spezialisierung von Handwerken und zur Hierarchisierung. Die urbane Zivilisation war geboren – zunächst vor allem in Mesopotamien. Die Entwicklung der Schrift durch die Sumerer vor mehr als 5000 Jahren ermöglichte dann Verwaltung, Gesetzgebung und Geschichtsschreibung. Doch alles ging gemächlich vonstatten; Tausende Jahre lang tat sich wenig Revolutionäres. Der Bestsellerautor Umberto Eco konnte in seinem um 1327 spielenden Schlüsselroman „Der Name der Rose“ den reaktionären Mönch Jorge von Burgos noch behaupten lassen, es gebe keine wirklichen Neuentwicklungen mehr, sondern nur eine „wunderbare Wiederholung“ des Alten.

Erst die Aufklärung und der Beginn der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert sorgten für wirklich dramatische Veränderungen. Nun sind wir inmitten der Informationsrevolution. Quo vadis? Wir heutigen Menschen gleichen den Passagieren in Friedrich Dürrenmatts Geschichte „Der Tunnel“: Wir sitzen an Bord eines Zuges, der ohne Führung immer schneller und unaufhaltsam ins Ungewisse rast.

Abendblatt- Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf