Kanada beansprucht riesige Gebiete der Arktis. Russland reagiert mit Truppenstationierungen. Es geht um Bodenschätze.

„Die Regierung von Kanada wünscht dem Weihnachtsmann das Beste bei seinen Pflichten bezüglich des Heiligen Abends und möchte ihn wissen lassen, dass er als kanadischer Staatsbürger automatisch das Recht besitzt, wieder nach Kanada einzureisen, sobald er seine Reise um die Welt vollendet hat.“ Mit der formalen Verleihung der kanadischen Staatsangehörigkeit an „Santa Claus“ hatte der zuständige Minister Jason Kenney vor drei Jahren weltweit die Lacher und die Sympathie auf seiner Seite.

Tatsächlich jedoch hatte der Spaß einen ernsten Hintergrund: Da der Weihnachtsmann bekanntlich am Nordpol wohnt, untermauerte die Regierung in Ottawa auf diese scheinbar heitere Weise ihren Anspruch auf den Pol und erhebliche Teile der Arktis. Zum einen öffnen sich dort aufgrund der Eisschmelze attraktive neue Schifffahrtsrouten, zum anderen aber werden dort 30 Prozent der noch unentdeckten Gasvorkommen und 15 Prozent der Ölvorkommen der Erde vermutet. Zudem lagern dort wertvolle Rohstoffe wie Gold, Kupfer und Platin.

Dieser Tage hat sich der seit Jahren schwelende Konflikt um eine der unwirtlichsten und menschenfeindlichsten Regionen der Erde weiter zugespitzt. Die kanadische Regierung hat bei der Uno Territorialansprüche angemeldet; Ottawa fordert praktisch den gesamten Festlandsockel vor seinen Küsten bis zum Nordpol. Kanada beruft sich dabei auf den Lomonossow-Rücken, eine unterseeische Bergkette, die 1800 Kilometer weit von den Neusibirischen Inseln bis zur Ellesmere-Insel in Kanada reicht. Ausgerechnet hier hatte 2007 eine russische U-Boot-Crew eine russische Fahne in 4261 Meter Tiefe in den Boden gerammt – ein unmissverständliches Symbol für den Anspruch Moskaus auf dieses Gebiet.

„Wir zeichnen die Außengrenzen Kanadas und verteidigen unsere Hoheitsgebiete“, sagte dagegen Kanadas Umwelt- und Arktis-Ministerin Leona Aglukkaq. Sie ist die erste Inuk im Ministerrang, wie sich die in Kanada und Grönland lebenden Inuit – politisch unkorrekt „Eskimos“ etikettiert – selber nennen. Kanada beansprucht damit Zehntausende Quadratkilometer jenes Gebietes, an das auch Russland sowie Dänemark (via Grönland) grenzen. Und Kanadas Premierminister Stephen Harper besteht nach kanadischen Presseberichten sogar darauf, dass auch der Nordpol selber in das beanspruchte Staatsgebiet mit einzubeziehen sei.

Insgesamt erheben auch die USA und Norwegen Ansprüche auf arktische Gebiete. Nach bislang geltenden Gesetzen haben die Staaten ein Anrecht auf eine 200 Seemeilen weit reichende Wirtschaftszone. Doch können sie diese Zone bis auf 350 Seemeilen erweitern – sofern sie nachweisen können, dass sich ihr Staatsgebiet über einen unterseeischen Kontinentalschelf jenseits der Küste fortsetzt. Den Lomonossow-Rücken betrachtet Russland allerdings als sein ureigenes Gebiet.

Nicht untypisch für die Regierung von Präsident Wladimir Putin hat der Kreml auf die kanadische Offensive mit einer aggressiven Geste reagiert. Putin wies das russische Militär an, Infrastruktur in der Arktis aufzubauen und die Truppenpräsenz dort zu verstärken. Die arktische Region besitze eine Schlüsselfunktion bezüglich der nationalen und strategischen Interessen Russlands, sagte Putin. Moskau will nun Militärbasen in der Arktis, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfallen waren, wieder instand setzen. Darunter ist auch eine Basis auf den Neusibirischen Inseln, die nördlich von Ostsibirien liegen. Bereits 2011 hatte der damalige russische Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow die Stationierung von zwei Brigaden der Spezialtruppen – knapp zehntausend Mann – mit eigens an das Klima angepassten Panzern und Waffensystemen angekündigt. Zudem wurde die russische Flottenpräsenz in der Region verstärkt. Vor zwei Jahren hatte der russische Sicherheitsrat die Arktis als „strategische Ressource“ definiert, die Russland ausbeuten solle. Allerdings würde eine solche Ausbeutung in diesem eisigen, Tausende Meter tiefen und zumeist zugefrorenen Meeresgebiet, das drei Monate pro Jahr in Dunkelheit liegt und Tausende Kilometer vom nächsten Hafen entfernt ist, ungeheuer schwierig und teuer werden.

Doch es geht bei dem Kampf um den Nordpol nicht nur um Bodenschätze, sondern auch um Nationalstolz.

Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf