Die Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 an Katar ist angesichts der Menschenrechtslage ein Skandal – sie sollte revidiert werden

Die Fifa genießt nicht den allerbesten Ruf. Es soll Menschen geben, die sehen im Weltfußballverband eher eine kriminelle Vereinigung, in der Vetternwirtschaft und Korruption wuchern, als eine Sportorganisation. Aktuell stehen zehn der 24 Fifa-Entscheider unter Verdacht, Schmiergelder eingestrichen zu haben. Da passt es ins Bild, dass diese seltsamen Funktionäre die Fußball- Weltmeisterschaften gern in „lupenreine Demokratien“ vergeben. 2018 zieht der Milliardenzirkus nach Russland, 2022 in den kleinen Golfstaat Katar. Despoten und Diktatoren, Militärs und Machthaber sonnen sich eben gern im Glanze eines Sportfestes: Die vergangene Fußball-Europameisterschaft fand in der Ukraine statt, die sich neben Peking nun auch um die Olympischen Winterspiele 2022 bewirbt. 2014 findet sie übrigens im russischen Sotschi statt. Eine ehrenwerte Gesellschaft. Fehlt eigentlich nur noch Nordkorea.

Katar ist bezogen auf die Kaufkraft das reichste Land der Welt und inszeniert sich als Traum von 1001 Nacht. Einen „Sklavenhändler-Staat“ nennt Sharan Burrow, Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes, das Emirat. Sie befürchtet, dass bis zum Anpfiff des Fußballfestes 4000 Arbeiter sterben werden. Dass mag übertrieben sein, aus der Luft gegriffen ist es nicht: Allein in diesem Sommer waren 44 Tote zu beklagen. Eine Mischung aus Rassismus und Gier macht die Baustellen des Katar zur Vorhölle auf den Planeten: Während die 250.000 Katarer ein Leben in Saus und Braus führen, sind viele der 1,2 Millionen Gastarbeiter bessere Sklaven. Gelockt werden sie aus Indien, Pakistan oder Nepal mit dem Versprechen hoher Gehälter, der Lohn fließt dann aber nur spärlich oder gar nicht.

Viele Migranten vegetieren in katastrophalen Massenunterkünften mit Zwölf-Bett-Zimmern und einer verdreckten Küche für 300 Arbeiter. Sie werden schikaniert, einigen werden die Pässe abgenommen, sodass sie ohne Chance auf Rückkehr im Emirat stranden. Zwar gibt es Gesetze, die eigentlich die Rechte der Gastarbeiter schützen sollen, doch kaum einer hält sich dran, kaum einer kontrolliert, kaum einer sanktioniert. Die ehemalige nepalesische Botschafterin nannte Katar „ein offenes Gefängnis“.

Die „Süddeutsche Zeitung" berichtete in der beeindruckenden Reportage „Sport und Schande“ nun über die Zustände in dem Golfstaat. Sie erzählt von einem nepalesischen Gastarbeiter, der dem Versprechen von 312 Euro monatlich für einen Malerjob folgte und nach Katar ging. Vor Ort fand er sich in einem Sammellager wieder, der Lohn war auf 83 Euro geschrumpft und wurde nicht einmal ausbezahlt. Seinen Arbeitgeber nennt er seinen „Besitzer“. Die Menschenrechtslage ist nach Auskunft von Amnesty International katastrophal: Homosexualität ist bei Gefängnisstrafe verboten; wer den Islam beleidigt, riskiert Freiheitsentzug; für Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit setzt es Peitschenhiebe. Sicherlich wird das Emirat während der WM die Peitsche verstecken, ein paar Bier spendieren und sich auf gastfreundlich und liberal schminken, wie es Unrechtsstaaten bei Sportfesten seit Berlin 1936 vormachen.

Aber die Eitelkeit und Hoffart der Autokraten und Alleinherrscher kann nach hinten losgehen. Denn die Völker der Welt schauen längt kritischer hin, als manchem Gastgeber lieb ist: Sie blicken hinter die Fassaden. Die Zeiten, als der Sport unpolitisch sein musste, sind Gott sei Dank vorbei. Unvergessen ist nepalesidie WM 1978: Damals wollten die deutschen Fußballoffiziellen nichts von Menschenrechtsverletzungen im diktatorischen Argentinien wissen. DFBVerbandschef Hermann Neuberger empörte sich sogar über Kritik an der Junta, der DFB wählte als Mannschaftsquartier ausgerechnet ein Freizeitheim der argentinischen Luftwaffe und empfing dort zu allem Überfluss noch einen hochdekorierten Nazi-Offizier. Die „Schmach von Córdoba“ – das 2:3 im entscheidenden Spiel gegen Österreich – darf durchaus als gerechte Strafe gewertet werden. Für die argentinische Elf lief das Turnier deutlich besser, sie wurde Weltmeister. Der Triumph stabilisierte dann die Militärjunta.

Ähnliches ist in Katar nicht zu erwarten; so viele Wunderspieler kann auch ein Emir nicht zusammenkaufen. Stattdessen werden sich die Machthaber unangenehmen Fragen stellen müssen, Fragen, die lauter und mit mehr Vehemenz gestellt werden als beispielsweise 1978. Diese kritische Öffentlichkeit ist eine Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden. Wenn Katar weiter seine Gastarbeiter wie Sklaven behandeln und die Menschenrechte ignorieren will, muss die Fifa dem Wüstenstaat die WM wieder wegnehmen. Das wäre ein beeindruckendes Signal an die Despoten dieser Welt.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne „Hamburger KRITiken“ jeden Montag Hamburg und die Welt