Der Sensationsfund wirft viele Fragen auf.

Für Kulturgüter, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt wurden und eindeutig als „Raubkunst“ identifiziert werden können, müssen die Vorkriegseigentümer oder deren Erben ausfindig gemacht und muss eine gerechte Lösung gefunden werden. So steht es in der „Washingtoner Erklärung“ von 1988, auf die sich weltweit 44 Staaten sowie mehrere Organisationen geeinigt haben. Die Bundesregierung hat diese Selbstverpflichtung nicht nur unterzeichnet, sondern ihr 1999 gemeinsam mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden auch eine Erklärung hinzugefügt, die die Restitution in fairer Weise befördern soll.

Das gilt nach Auskunft von Experten für öffentliche Einrichtungen wie Museen, Archive und Bibliotheken, nicht aber für Privatpersonen und privaten Besitz. Daher kann Cornelius Gurlitt, in dessen Wohnung in München 1406 großenteils hochkarätige Kunstwerke sichergestellt wurden, zwar möglicherweise wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung belangt, aber kaum zur Rückgabe von „Raubkunst“ gezwungen werden.

Im Moment lassen sich die Dimensionen dieses Falls noch gar nicht absehen, denn die allermeisten Werke sind bisher noch nicht veröffentlicht worden. Auch wenn das demnächst geschehen sollte, muss die Kunstgeschichte zwar nicht neu geschrieben werden, doch unter Umständen wird sich manches dunkle Kapitel aus dem von Nationalsozialisten betriebenen größten Kunstraub der Geschichte aufklären lassen. Mit schnellen Ergebnissen ist kaum zu rechnen, weil dafür die aufwendige Recherche von Kunsthistorikern nötig sein wird. Und die Erfahrung zeigt auch, dass nicht jeder Restitutionsanspruch gerechtfertigt ist.

Ob es am Ende für diejenigen, deren Vorfahren beraubt wurden, in diesem spektakulären Fall eine „gerechte und faire Lösung“ geben wird, ist keineswegs gewiss. Geltendes Recht lässt sich oft schwer mit historischer Gerechtigkeit in Einklang bringen. Und ob der 79 Jahre alte Besitzer dieses Kunstschatzes ein Gespür für die moralische Dimension der von ihm gehorteten Sammlung aufzubringen vermag, darf bezweifelt werden.