Der Streit um die Netze ist entschieden. Über den Volksentscheid aber ist noch zu reden

Eines kann man der SPD wirklich nicht vorwerfen: beim Volksentscheid über den Netze-Rückkauf den schlechten Verlierer zu geben. Schon am Abend der denkbar knappen Niederlage zog SPD-Fraktionschef Andreas Dressel seinen Plan B aus der Tasche, und vergangenen Mittwoch beschloss die Bürgerschaft erste Schritte für eine Übernahme der Energienetze. Damit zeigt die SPD nicht nur ein tadelloses Demokratieverständnis. Sie handelt auch im eigenen Interesse. Denn viele Wähler und Mitglieder der Partei waren für den Rückkauf und damit gegen die Linie von Bürgermeister Olaf Scholz. Gäbe es jetzt Anzeichen dafür, dass die Spitzenfunktionäre den Volksentscheid nicht mit ganzer Kraft umzusetzen suchten, könnte aus der Spaltung der Stadt in der Netzfrage schnell eine Spaltung der SPD werden. Auch Olaf Scholz stellte daher unmissverständlich klar: „Wenn entschieden ist, müssen sich alle daran halten.“

Die Debatte über Sinn und Unsinn der Rekommunalisierung ist damit vorbei, und es beginnen die Mühen der Umsetzung. Das sollte die Hamburger aber nicht davon abhalten, auch Lehren aus dem Volksentscheid zu ziehen. Das Verfahren hat nämlich Fragen aufgeworfen, über die zu reden ist. Sie betreffen vor allem die Fragestellung und die Gestaltung des Stimmzettels, die Finanzierung der Kampagnen und die Haushaltsauswirkungen von Volksentscheiden.

An die Frage, die den Abstimmenden vorgelegt wurde, war der Satz angehängt: „Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte (...) Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“ Hört sich prima an. Wer sollte etwas gegen soziale Gerechtigkeit haben? Mit Rohren und Kabeln der Energienetze aber kann man weder Sozialpolitik machen, noch Gerechtigkeit herstellen. Die Aussage auf dem Stimmzettel erweckte also einen missverständlichen Eindruck. So etwas sollte für künftige Entscheide ausgeschlossen werden. Außerdem sollte man darüber nachdenken, den Abstimmenden die Möglichkeit zur Enthaltung zu geben.

Viel gestritten wurde über die Frage, ob die Kirche eine Bürgschaft für die Initiative übernehmen durfte, zumal sich nicht unmittelbar erschließt, was Kabel und Rohre mit Bibel und Bergpredigt zu tun haben. Das ist in Wahrheit eine innerkirchliche Angelegenheit. Unter Demokratie-Gesichtspunkten müssen zwei andere Punkte diskutiert werden. Erstens: Sollten Spenden an Volksinitiativen künftig steuerlich absetzbar sein, um diesen eine passable finanzielle Ausstattung zu sichern? Zweitens: Kann und soll ein so drastisches Ungleichgewicht der Finanzkraft, wie wir es jetzt erlebten, künftig verhindert werden?

Während die Initiative über die eingesetzten 190.000 Euro öffentlich Rechenschaft ablegen muss, schweigen sich die maßgeblich von Wirtschaftsverbänden gegründete Gegen-Initiative und Vattenfall über ihre Mittel aus. Die Fülle der Anzeigen und Spots lassen die Schätzungen von 10 bis 20 Millionen Euro durchaus plausibel erscheinen. Das ist ein krasses Missverhältnis der Kräfte. Es steht dahin, ob es für dieses Problem eine Lösung gibt. Diskutiert werden muss darüber dennoch.

Bleibt die Frage, ob ein Volksentscheid über so große Summen überhaupt vertretbar ist. Ich meine: Ja. Jeder Volksentscheid hat Auswirkungen auf die Finanzlage der Stadt. Wollte man das verhindern, müsste man die direkte Demokratie abschaffen. Im Übrigen haben die vergangenen Jahrzehnte nicht gezeigt, dass Parlamente besser mit Geld umgehen als die Bürger selbst. Diskutieren sollte man, ob Initiativen künftig auch Finanzierungskonzepte für ihre Vorhaben vorlegen müssen.

Vielleicht muss sich der sprichwörtliche Pulverdampf erst verziehen. Danach aber sollten Bürgerschaft und Initiativen sich an eine weitere Verfeinerung der Volksgesetzgebung machen. Dieses Instrument ist in Hamburg mittlerweile viel zu wichtig, um seine Schwächen zu ignorieren.